2. Kapitel

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17-09

Das kleine Lichtdreieck auf seinem Schreibtisch machte Karl-Theodor Schlemen nervös. „Lassen Sie endlich mal die Jalousie reparieren“, knurrte er ärgerlich, sah aber die auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch sitzende Mirjana Grau dabei ganz bewusst nicht an. „Ich habe dem Hausmeister schon vor zwei Wochen Bescheid gesagt“, entgegnete die 55jährige etwas gedrungene Leiterin des Hauptamtes von Neckarstadt. „Ich will Lösungen, keine Entschuldigungen“, schnitt Oberbürgermeister Schlemen seiner Untergebenen das Wort ab.

 

Vor vier Jahren hatte ihn seine Partei in dieses Kaff abgeschoben. Als Mitarbeiter im Besucherdienst des Kanzleramtes in Berlin hatte er ein wesentlich ruhigeres Leben gehabt. Sie hatten ihn zum Chef von 400 unfähigen und faulen Rathausmitarbeitern gemacht. Zunächst hatte er sich damit beruhigt, dass über seinen Berliner Fehltritt einfach ein wenig Gras wachsen musste. Dann aber konnte er nicht mehr ignorieren, dass seine Partei ihn offensichtlich hier versauern lassen wollte.

 

Zwei Vorstöße hatte er mittlerweile unternommen, um zumindest in ein Landesministerium im nahen Stuttgart wechseln zu können. In beiden Fällen hatte ihn der Bezirksvorsitzende Nord-Württembergs seiner Partei übel ausgebremst. Der hatte einfach die besseren Verbindungen. Schlemen hatte am selben Vormittag noch ein einstündiges Gespräch mit Werner Pistorius, dem CDU-Bezirkschef gehabt. Der hatte ihm wieder einmal in den Ohren gelegen, er müsse endlich sein Rathaus in den Griff kriegen. Neckarstadt sei die letzte Auffangposition für ihn. Sollte das nicht klappen, falle er ins Bodenlose.

 

Karl-Theodor Schlemen, von Parteiinsidern auch KTS genannt, war jetzt 60 Jahre alt, musste aber noch eine Zeit lang durchhalten. Seine Gattin und er führten das, was KTS gern einen „gehobenen Lebensstil“ nannte. Dazu gehörten üppige Abende in den Restaurants der Sternenköche in der weiteren Umgebung, ausgedehnte Reisen in die europäischen Metropolen und aufwändig inszenierte Einladungen von angeblich „Kulturschaffenden“ in das nicht gerade bescheidene Eigenheim der Familie.

 

Das hatte er sich bei seinem Amtsantritt weitgehend vom Geschäftsführer eines regionalen Bauträgers zu einem sogenannten Vorzugstarif bauen lassen. Der Vorzug bestand darin, dass die Komet Bauträger GmbH seitdem großzügig von öffentlichen Aufträgen profitierte und mit einer äußerst entgegenkommenden Behandlung beim Baulanderwerb rechnen durfte.

 

Doch auch hier gab es Probleme. Bei der Entwicklung des Baugebietes „Wiesen III“ wollte ein alter Obstbauer partout nicht verkaufen. Komet-Chef Wolfgang Kiel, auch ein Parteifreund, war richtig sauer geworden und schon seit Wochen nicht zum Tennisspielen mit Schlemen erschienen. Das machten sie sonst jeden Dienstagabend, einer der wenigen sitzungsfreien Tage in der ansonsten mit Abendterminen vollgepackten OB-Woche. Auch die obligatorische Einladung zum Gespräch beim Wein am Sonntagabend hatte Kiel mit den Worten zurückgewiesen: „Krieg erst mal die Wiesen-III-Kiste in den Griff.“

 

Eine unmögliche Situation. In seiner Not hatte Schlemen keinen anderen Rat gewusst, als den Obstbauern unter Druck zu setzen und sogar mit Enteignung zu drohen. Der alte Bauer hatte sich daraufhin beim Bauamtsleiter persönlich beschwert, wovon dieser dem Oberbürgermeister als seinen Dienstvorgesetzten mit süffisantem Lächeln berichtet hatte.

 

„Manchmal kann einem zu viel Druck Probleme machen“, hatte Alexander Mitsch, der Bauamtsleiter von Neckarstadt, seinem OB mit auf den Weg in einen frühen Feierabend gegeben. Der war umgehend zu Wolfgang Kiel geflohen und hatte ihm gebeichtet, dass das Bauprojekt Wiesen III erst einmal auf Eis gelegt werden müsse. „Bist Du vollkommen verrückt geworden“, hatte Kiel seinen Duzfreund Schlemen angefahren. „In dem Projekt stecken schon jetzt zwei Millionen Planungskosten. Da gibt es kein Zurück und keinen Aufschub!“

 

„Wir müssen da jetzt aber total zurückhaltend sein. Das muss sich erst alles etwas beruhigen“, hatte Schlemen eingewandt. „Völliger Quatsch, damit machst Du Dich nur erpressbar. Häng Deinem Bauamtschef ein größeres Dienstvergehen an, dann spurt der schon und zieht bei Wiesen III ordentlich mit. Um den alten Schäufele kümmern wir uns dann schon. Da hat meine flotte Einsatztruppe noch nie versagt.“

 

Schlemen spürte, wie ihm das Blut in die Beine sackte. „Was hast Du mit dem Obstbauern vor“, fragte er Kiel mit leicht belegter Stimme. „Das willst Du gar nicht wissen“, meinte der mit einem freudlosen Lachen. „Stell Du mal den Mitsch ruhig“.

 

„Und wie soll ich das machen“, gab Schlemen zurück, „Mein Gott, wer hat Dich nur in die Partei aufgenommen? Allmählich solltest Du das Verwaltungs-Einmaleins aber etwas beherrschen“, fuhr Kiel den etwas verdatterten OB an. „Ein Briefumschlag mit 5000 Euro im Schreibtisch, kleines Dankesschreiben eines privaten Bauherren anbei; eine Azubine, die nach der Lehre übernommen werden möchte und mit dem Finger auf den Mitsch zeigt, weil er ihr unter den Rock gegriffen hat; eine kleine Alkoholkontrolle unseres dienstbeflissenen Polizeihauptmeisters Krauss gleich nach Feierabend an der Rathauskreuzung – such Dir was aus“.

 

Ein gutes Mitarbeitergespräch habe da nach dem Schock eines solchen Fehlverhaltens immer noch Wunder gewirkt, zeigte Wolfgang Kiel seinem Parteifreund Schlemen ein paar Möglichkeiten auf. Der hatte daraufhin tatsächlich eine ganze Nacht lang darüber gegrübelt, wie er seinen Bauamtsleiter am besten weich kriegen könnte.

 

Ihm war nichts eingefallen. Und einen der Vorschläge von Kiel konnte er auch nicht einfach nehmen. Da hätte er sich ja vor seinem Duz- und Parteifreund unsterblich blamiert. Er musste handeln. Das war Schlemen klar. Und mit Mitsch ließ sich nicht nur das Projekt Wiesen III wieder auf die Spur bringen. Er könnte auch im Rathaus beweisen, dass er ein ganz harter Hund sei und als Verwaltungschef im Notfall auch mal durchregieren könnte.

 

Aber dafür musste er Mitsch eine so dicke Sache anhängen, dass er ihn nicht nur rausschmeißen, sondern danach auch noch mit weiteren Enthüllungen drohen konnte. Nur, womit würde er diesen Idioten raussetzen und  zum Schweigen bringen können? Es musste eine weitreichende Lösung sein.

 

Nach durchwachter Nacht hatte er den Entschluss gefasst, Mirjana Grau, seine Personalchefin, teilweise ins Vertrauen zu ziehen. Immerhin war sie im Kreisverband seiner Partei Schriftführerin. Da konnte er aus der „Angelegenheit Mitsch“ ganz gut so eine Art Parteiauftrag machen.

 

Deshalb hatte er Mirjana Grau an diesem brütend-heißen Juni-Nachmittag einbestellt. „ Genug mit der Jalousie. Kommen wir zu einem wirklichen Problem, bei dessen Lösung die Partei Ihre Hilfe braucht, Mirjana“, versuchte sich Schlemen von seiner chamantesten Seite zu zeigen. Er hatte irgendwo in einem psychologischen Ratgeber gelesen, dass das hanseatische Du bei Mitarbeiterinnen über 50 wahre Motivationswunder bewirken könne.

 

Die 55jährige Hauptamtsleiterin von Neckarstadt, der auch die Personalverwaltung oblag, rutschte vor Aufregung ein Stück auf ihrem Stuhl vor. Dabei entblößte sie einige Zentimeter ihrer stämmigen Oberschenkel. Angewidert schaute Karl-Theodor Schlemen nach rechts. „Botticelli hätte die mit Sicherheit nicht gemalt“, tröstete sich der kunstsinnige Oberbürgermeister.

 

Ausgerechnet er, der ausgewiesene Ästhet, als der er sich selbst gern einschätzte, hatte immer wieder mit hässlichen, unintelligenten und geschmacklosen Menschen zu tun, denen er in den meisten Fällen auch noch mit Freundlichkeit begegnen musste.

 

„Da musst Du beim grauen Elefanten jetzt durch“, munterte Schlemen sich auf und wandte sich wieder der leicht übergewichtigen Mirjana Grau zu, die heute ein besonders nachteilig kleidendes apricot-farbenes Kostüm mit viel zu kurzem Rock trug. „Und zur Maniküre könnte die auch mal wieder gehen“, schoss es Schlemen durch den Kopf, als er einen angelegentlichen Blick auf die abgekauten Fingernägel von Mirjana Grau warf, die sich mit ihrer linken Hand zwei Zentimeter auf der Schreibtischoberfläche von Schlemen vorgearbeitet hatte.

 

„Ja“, hauchte Mirjana Grau und hielt den Mund leicht geöffnet. „Es ist eine sehr delikate Angelegenheit“, nahm Schlemen den Faden wieder auf. „Die Partei zählt da auf Sie, Mirjana.“ – „Natürlich, wenn ich etwas tun kann“, unterstrich Mirjana Grau ihre Einsatzbereitschaft. „Es handelt sich um Alexander Mitsch“, sagte Schlemen und fixierte Mirjana Grau eine Weile. „Mitsch will Karriere machen und meint, die Partei für seine Zwecke einspannen zu können. Er erpresst Pistorius, damit der ihm eine A16-Stelle im Regierungspräsidium verschafft.“

 

„Unglaublich“ entfuhr es Mirjana Gau. -  „Doch, stellen Se sich vor, angeblich sind im Bezirksvorstand zwei Spenden der Komet GmbH nicht ordnungsgemäß verbucht worden.“ – „Kann ich mir überhaupt nicht denken“, platzte es aus Grau förmlich heraus. „Das ist absolut vertraulich, Mirjana!“, unterstrich Schlemen. „Ich muss mich da völlig auf Sie verlassen können!“ Mirjana Grau nickte mehrmals heftig. Sie konnte gerade kein Wort herausbringen, weil sie einen so großen Kloß im Hals hatte.

 

„Pistorius hat eine Spende von Kiel einmal vergessen und sechs Wochen liegen lassen, bevor er sie an den Schatzmeister weitergereicht hat. Das zweite Mal hat er einen Zettel an den Spendenscheck geheftet, auf dem stand, was er noch für seinen Wahlkampf von Kiel braucht.“ Auf genau dem Zettel sei auch die Notiz vermerkt worden „wg. Wiesen III noch mal anbaggern“. „Sie sehen, das sind Lappalien“, meinte Schlemen. „Aber wenn man nur formal denkt, kann man Pistorius daraus einen schönen Strick nach dem Parteiengesetz drehen. Und das jetzt, wo der Mann kurz vor dem Sprung ins Kabinett ist und alle Hoffnungen von Nord-Württemberg auf ihm liegen“, erläuterte Schlemen mit leicht pastoralem Ton und führte beide Hände mit den Fingerkuppen in Mundhöhe aufeinander. Er hatte in einem Gesprächsführungsseminar einmal gelernt, dass diese Geste besonders dramatisch wirke und zur Herstellung von Vertraulichkeit ausgezeichnet geeignet sei.

 

„Wir müssen Pistorius hier schützen“, forderte er. „Natürlich, natürlich“, hauchte Mirjana Grau und nickte eifrig. „Wir müssen Mitsch Einhalt gebieten“, hob Schlemen erneut an und setzte sofort nach: „Sie kennen ihn viel besser als ich. Und als erfahrene Hauptamtsleiterin kennen Sie die Schwachpunkte eines jeden Mitarbeiters, also auch die Schwachpunkte von Mitsch. Und deshalb braucht die Partei Sie jetzt, Mirjana.“

 

Mirjana Graus ohnehin schon ins Rötliche changierende Wangen färbten sich noch ein Stück intensiver. Sie legte ihren rechten Zeigefinger an die Unterlippe. „Ich könnte ja mal mit Mitsch reden und ihm klarmachen, dass er seinen Job gefährdet, wenn er das mit Pistorius nicht lässt“, schlug Grau vor.

 

Karl-Theodor Schlemen schüttelte langsam den Kopf. „Nein, kein Wort zu Mitsch und erst recht keine einzige Silbe zu Pistorius“, vergatterte er seine Hauptamtsleiterin. „Das müssen wir hier lösen!“ – „Verlassen Sie sich auf mich. In drei bis vier Wochen haben Sie das Material über Mitsch, das Sie brauchen, um ihn ruhigzustellen“, versprach die Hauptamtsleiterin.

Hörbuch: Mail-Mord in Neckarstadt - 2. Kapitel
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