Lasst den Wissenschaftsjournalismus nicht vor die Hunde gehen

Laudatio anlässlich der Verleihung des Journalismuspreis Informatik am 14. Mai 2024 in Saarbrücken

Der Sonderpreis des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz geht an Cedric Engels, Carolin Riethmüller, Mick Mahler, Jonas Bradtke, Marian Knittler, Pascal Rausch, Hannes Gabelmann, Manuel Zilleken und Jakob Göß für den Beitrag „Wir haben die KI die Zukunft der Menschheit generieren lassen“, erschienen am 16. April 2023 auf dem Kanal Dr. Whatson auf Youtube. Die Jury hat sich aus zweieinhalb Gründen entschieden, diesen Beitrag mit dem DFKI-Sonderpreis zu prämieren. Grund Nr. 1: Im Beitrag werden die unterschiedlichen KI-Tools, mit denen ein Animationsfilm erstellt wurde, gründlich und verständlich erklärt und sorgfältig eingeordnet. Grund Nr. 2: Das Team hat nicht nur über diese KI-Tools geredet, sondern diese Werkzeuge auf bemerkenswerte Weise angewendet, um einen Animationsfilm zu einem futuristischen Thema zu erstellen. Der Animationsfilm ist also genauso sehenswert wie die Erklärstücke, die ausgesprochen kurzweilig präsentiert

 

werden.

 

 

 

Schauen wir mal rein Zuspielung 1

 

 

 

Also, eine bemerkenswerte Produktion, die den Sonderpreis verdient hat. Da gibt es aber noch den halben Grund, den ich zu Beginn erwähnt habe, der den Ausschlag gab, dass diese Produktion, dass dieses Video den Sonderpreis bekommt und kein anderes. Dazu muss ich aus dem Nähkästchen der Juryarbeit plaudern. Aber wir sind hier ja unter uns. In der Diskussion für diesen Preis war nämlich zunächst ein anderer Beitrag aus demselben Hause. Der über personalisierte Medizin. Das Thema personalisierte Medizin, brennt sogar noch stärker unter den Nägeln als das Thema KI-Werkzeuge für die Beitragsproduktion. Dennoch entschied sich die Jury für den Beitrag über KI-Tools zu Animationsfilmproduktion, und zwar deshalb

 

 

 

Zuspielung 2:

 

 

 

Der Beitrag wurde also im Auftrag des Bundeministeriums für Bildung und Forschung gedreht. Das erklärt die Nachwuchsgruppe, deren Arbeit hier vorgestellt wird, auch ganz transparent. Und das war der formale Grund, sich gegen diesen Beitrag zu entscheiden. Er wurde eben im Auftrag eines Ministeriums gedreht. Das ist Auftragskommunikation und kein Wissenschaftsjournalismus. Wir vergeben aber den Journalismuspreis Informatik. Und der kann nur für journalistische Beiträge vergeben werden, nicht für Public Relation. Im Auftrag eines Ministeriums gedrehte Beiträge sind Public Relation. Und das ist ein KO-kriterium – so die übereinstimmende Einschätzung der Jury.

 

Wir haben dann einen prämierungswürdigen Beitrag aus demselben Hause unter den eingereichten Beiträgen gehabt, der ohnehin an zweiter Stelle hinter dem Beitrag über personalisierte Medizin auf der Bewertungsliste stand. Noch mal Glück gehabt. Dabei könnte man es ja eigentlich belassen.

 

 

 

Aber hier zeigt sich eine insgesamt bedenkliche Entwicklung. Das Team von Dr. Whatson muss irgendwomit seine Brötchen bezahlen, seine Miete usw. Dafür brauchen sie Einnahmen. Und da geht es ihnen wie vielen anderen nicht nur im Wissenschaftsjournalismus: Sie sind auf Einnahmen aus der PR angewiesen, weil sich Journalismus nicht mehr rechnet. Da hat mitunter fatale Folgen. Ein Kollege von mir bekam von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für die Produktion Podcasts 28.000 Euro. Das ist verglichen mit dem 1000 Euro Sonderpreis hier viel Geld. Kann dieser Kollege anschließend – nach Beendigung des 28.000-Euro-Jobs unabhängig, frei von Zwängen kritisch über einen Skandal bei  der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien berichten? Es gibt Kollegen, die behaupten von sich, sie könnten das. Ich könnte das nicht. Ich hätte eine Schere im Kopf.

 

 

 

Nun weichen Kolleginnen und Kollegen ja nicht ohne Grund auf diese Querfinanzierung aus. Sie machen das, weil sie vom Wissenschaftsjournalismus nicht mehr leben können. Der Bayerische Rundfunk beispielsweise hat zum 1. April dieses Jahres nicht nur sein Wissenschaftsmagazin IQ eingestellt, sondern auch das Computermagazin. Forschung aktuell im Deutschlandfunk hat seine Sendezeit für aktuellen Wissenschaftsjournalismus um 20 Prozent reduziert. Das Feature „Wissenschaft im Brennpunkt“ ist vom Sonntag auf den Montag geschoben worden, um fünf Minuten verkürzt. „Wissenschaft im Brennpunkt“ wiederum musste weichen, weil ein Podcast finanziert werden muss. Der ist sogar ein bisschen günstiger zu produzieren als 25 Minuten aktuelle Wissenschaftsberichterstattung.

 

 

 

Neben dem massiven Abbau von Wissenschaftsjournalismus im ÖRR (Außer Forschung aktuell, IQ, Computermagazin auch noch Campus, SWR, Aus Forschung und Technik, ZDF, Computer Club, WDR, um nur einige prominente Sendungen zu nenn), bekommen wir es demnächst noch mit einer Zentralisierung der Wissenschaftsberichterstattung der ARD zu tun. Das Kompetenzzentrum Wissenschaft soll dann ARD-Weit günstige Beiträge und noch günstigere Podcast verfertigen. Multiperspektivität in der Wissenschaftsberichterstattung ist dann endgültig passé. Unter uns: Einer der verantwortlichen Redakteure, die gerade das Kompetenzzentrum aufbauen, sagte mir kürzlich: Da komme es dann sehr auf den Nasenfaktor an, wer dann zu Beispiel mit der Verfertigung von Technikbeiträgen beauftragt werden würde. Da bekommen wir es dann auch mit Auftragskommunikation zu tun. Insofern hätte auch der im Auftrag des BMBF produzierte Videobeitrag über personalisierte Medizin hier prämiert werden können. Wären da nicht wir Jury-Mitglieder mit unserer verfestigten Auffassung, Auftragskommunikation sei etwas völlig anderes als Wissenschaftsjournalismus.

 

 

 

Ich bleibe dabei. Da gibt es einen Unterschied. Und ich bleibe dabei: Insbesondere der ÖRR hat den Programmauftrag durch wissenschaftsjournalistische Beiträge für Aufklärung zu sorgen. Das ist derzeit ein wenig in Vergessenheit geraten bei viel zu vielen ÖRR-Hierarchen. Das muss sich ändern. Wenn aber keine Wissenschaftsjournalisten mehr auf Konferenzen geschickt werden, die sich dort umhören, Paper lesen, mit Wissenschaftlern Interviews führen, weil das alles viel zu teuer ist und ein „Laber-Podcast“, bei dem sich schnell mal zwei journalistische Gestalten ans Mikro setzen um 27 Minuten mit schnell anrecherchiertem (Google an, Suchwort rein, vorlesen, was Google liefert) oder von interessierter Seite beauftragtem Material zu füllen, dann können die Medien zur Meinungsbildung der Bürger nicht mehr beitragen. Dann erfüllt auch der ÖRR seine Aufgabe nicht mehr.

 

 

 

Deshalb eine Bitte an die Politiker und Spitzenvertreter der Universitäten und Forschungseinrichtungen unter uns: Sagen  Sie das mal den Hierarchen, wenn Sie sich demnächst mal wieder mit dem einen oder der anderen auf dem öffentlich-rechtlichen Sonnendeck treffen. Wenn die im journalistischen Maschinenraum tätigen Wissenschaftsjournalisten ausgebootet werden, dann können wir die wohlklingenden Programmgrundsätze gleich vom Sonnendeck herab am Maschinenraum vorbei ins unendliche Meer des Vergessens werfen.

 

 

 

Aber genug der Kritik. Wir sind hier ja gerade in der Abteilung Lob unterwegs. Also: Beiträge wie der hier prämierte „Wir haben die KI die Zukunft der Menschheit generieren lassen“ brauchen wir. Es müssen wissenschatsjournalistische Beiträge sein. Ich würde solche Beiträge gern in den Programmen der ÖR und somit aus Haushaltsbeiträgen finanziert sehen. Die Wirklichkeit ist eine andere. Wissenschaftsjournalismus wird gerade heruntergefahren. Wenn wir nicht aufpassen, ist er demnächst abgeschafft. Das wäre schade. Denn dann könnte ich auch nicht mehr für eine Laudatio nach Saarbrücken fahren.

 

 

 

Trotz allem: Herzlichen Glückwunsch an Cedric Engels, Carolin Riethmüller, Mick Mahler, Jonas Bradtke, Marian Knittler, Pascal Rausch, Hannes Gabelmann, Manuel Zilleken und Jakob Göß. Diese Gesellschaft muss einfach aufpassen, dass ihr weiterhin guten Wissenschaftsjournalismus machen könnt und keine Auftragsproduktionen machen müsst.

 

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