Digitale Recherche - Oft ein Trauerspiel

 

 

Ohne Twitter, Facebook und Blogs geht nichts mehr im Redaktionsalltag. Doch was dort zu lesen ist, muss nach-recherchiert werden. Und da tun sich viele Journalisten noch richtig schwer. Für sie beschränkt sich die Online-Recherche nicht selten auf das Anwerfen einer Such-maschine. Dabei stehen komfortable Werkzeuge für die Recherche im Netz zur Verfügung. Und auch das erforderliche Know-How, um mit ihnen arbeiten zu können, ist gar nicht so schwer zu beschaffen.

 

 

 

 

 

 

In den Sonntagsreden über die Zukunft des Journalismus werden mit dem Datenjournalismus und dem Internet-Rechercheur die größten Hoffnungen verbunden. Doch wie das mit Sonntagsreden häufig so ist: Im redaktionellen Alltag sind sie schnell vergessen.

 

 

 

Zwar gaben bei einer Umfrage des Agenturnetzes Ecco unter 700 Journalisten immerhin mehr als 60 Prozent der befragten Kollegen an, mindestens eine Social-Media-Plattform für ihre Recherchen zu nutzen. An erster Stelle übrigens Facebook, danach folgen Xing, Twitter und Blogs. Aber oftmals werden die hier gefundenen Informationen einfach ohne großartige Überprüfung übernommen.

 

 

 

So haben zum Beispiel die meisten Qualitätsmedien über die syrische lesbische Bloggerin Amina Arraf berichtet. „Sie ist so authentisch“, schwärmte der Kollege eines Nachrichtenmagazins. Dann entpuppte sich Amina als der wohlbeleibte rotbärtige 40jährige amerikanische Doktorand Tom McMaster, der in Edinburgh lebte. Auf die Schliche gekommen war ihm ein Blogger, der die Internet-Protokoll-Adresse von Amina überprüft hatte. Dabei stellte sich heraus, dass Aminas Computer nicht in Damaskus, sondern im schottischen Edinburgh stand.

 

 

 

Der Rest war Routine und so manches Qualitätsmedium blamiert, weil sich deren Internet-Recherche auf das Lesen des Blogs von Amina Arraf beschränkte. Allenfalls wurde ihr Name noch einmal gegoogelt. Das war es dann aber auch schon.

 

 

 

Tools für die Online-Recherche sind schon vorhanden

 

 

 

„Meine Journalisten werden fürs Schreiben bezahlt und nicht fürs Hacken“, begründete der Ressortleiter einer Zeitschrift die unterlassenen Recherchen. Im Laufe der weiteren Diskussion stellte sich dann allerdings heraus, dass die Redaktions-Hierarchen schlicht nicht wussten, was zu tun war und welche Internet-Recherchen vonnöten waren. Vor allen Dingen aber wollten sie genau das nicht zugeben.

 

 

 

Dabei sind die wesentlichen Werkzeuge für Netzrecherchen in der Regel bereits in den Redaktionen vorhanden. So kann die Internet-Protokolladresse eines Blogs wie zum Beispiel „damascusgaygirl.blogspot.com“ mit  Programmfunktionen wie „ping“ oder „tracert“, die in den meisten Betriebssystemen verfügbar sind, recherchiert werden. Zusätzliche Recherchedienste wie „ip-lookup.net“ oder „netip.de“ führen den so recherchierenden Journalisten dann sogar zum Inhaber der Internet-Domain, Mailadresse und häufig sogar die Telefonnummer des Systemadministrators inklusive.

 

 

 

Diese Netzrecherchedienste sind übrigens kostenlos. So kann hier nicht einmal die Ausrede herhalten, das Budget gebe solche Recherchen leider nicht mehr her. Doch das Hauptproblem bleibt die mangelnde Bereitschaft nicht gerade weniger Journalisten und Verlagsmanager sich mit Methoden der Online-Recherche auseinanderzusetzen. Die Argumente, Netzrecherchen seien zu komplex und zu teuer, können jedenfalls leicht widerlegt werden.

 

 

 

Der Blogger, der im Fall Amina Arraf recherchierte, konnte jedenfalls allein über die Auswertung von Mailadressen, Server-Domains und Internet-Protokolladressen Tom McMaster als Autor der Blogeinträge auf „damascusgaygirl.blogspot.com“ identifizieren. Netzrecherchen bieten aber noch viel mehr. Nur mit Methoden der Online-Recherche lassen sich im Internet-Zeitalter überhaupt noch Quellen verifizieren.

 

 

 

 

Dazu zählt nicht nur die Rückverfolgung von Internet-Protokolladressen wie im Falle Amina Arraf, sondern auch die Recherche des digitalen Umfeldes einer Quelle. Hier hilft es wesentlich weiter, einfach genau nachzusehen, auf welchen sozialen Plattformen, Blogs oder anderen Online-Präsenzen mein Gesprächspartner oder Informant sonst noch unterwegs ist, zu welchen Themen und Zeitpunkten er twittert, postet oder bloggt und seit wann er das tut. Das gibt wichtige Hinweise auf seine Glaubwürdigkeit und Authentizität.

 

 

Auch lohnt es sich, genauer anzuschauen, mit wem die Quelle Kommunikationsbeziehungen in den sozialen Netzen unterhält. Die klassische Ermittlungstechnik der Umfeldanalyse kann hier eine Menge zu Glaubwürdigkeit, Identität oder fachlichem Hintergrund aussagen.

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