Auf dem G20-Gipfel in Hamburg sind zahlreichen Journalisten vor einem Jahr die Akkreditierungen entzogen worden. Die Gründe dafür: Namensverwechslungen,
technische falsche Einträge in Sicherheitsdateien und massive methodische Fehler. Wir haben das damals gründlich recherchiert und im DLF und für das ZDF darüber berichtet. Ein Jahr nach dem
Akkreditierungsskandal zeigt sich: Die Falsche Methodik bei den Sicherheitsdateien ist politisch gewollt - noch immer !
Auf dem G20-Gipfel in Hamburg hat sich eines deutlich gezeigt: Die Überwachungsdateien der Sicherheitsbehörden sind in technischer Hinsicht ein Stück weit außer Kontrolle. Das haben auch BKA-Beamte bestätigt.
Die Beamten wollen mit ihrer teils harschen Kritik anonym bleiben, weil sie berufliche Nachteile fürchten.
Die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff, hatte schon in ihrem letzten Tätigkeitsbericht gemahnt. "Daten werden im Ergebnis zur Verdachtsgenerierung gespeichert".
Mitunter wird aus einem bloßen Verdacht dann ein sicherheitsrelevanter Hinweis, weil nicht mehr nachvollzogen werden kann, wie ein bestimmter Dateieintrag zustande gekommen ist. "So habe ich immer wieder auf die fehlende Protokollierung verschiedener Dateien hingewiesen", hebt Andrea Voßhoff hervor.
Solche Fehler haben letztlich dazu geführt, dass Polizisten Journalisten am Eingang zum Medienzentrum unzulässig die Akkreditierung abgenommen haben. So wurde dem NDR-Journalisten Christian Wolf die Akkreditierung aufgrund einer sogenannten „Open-Source-Intelligence“ die Akkreditierung entzogen.
Sicherheitsdateien als Risiko
Die Verfassungsschützer durchsuchen ständig alle möglichen sozialen Netze. In verschiedenen Blogeinträgen und auch Facebook haben sie daraufhin den Namen Christian Wolf mit Bezügen zu den sog. „Reichsbürgern“ identifiziert.
Dieses Material aus Social Media Plattformen ist dann einfach
ohne weitere Quellenkritik in eine Sicherheitsdatei eingespeist worden. Und so wurde durch einen technisch bedingten Fehler bei der Dateneinspeisung aus dem NDR-Journalisten Christian Wolf der Reichsbürger Wolf. Das BKA hat sich inzwischen für diese „Namensverwechslung“ entschuldigt.
Das Misstrauen gegen die Sicherheitsdateien Bundeskriminalämtern, Verfassungsschützern und Bundesnachrichtendienst wächst. Und das zu Recht.
Ein weiteres Risiko: Die Sicherheitsdateien werden zu selten geprüft. "Solche Prüfungen sind zeit- und personalintensiv, weshalb sie nicht routinemäßig durchgeführt werden können," urteilt Volker Broo, Referatsleiter beim Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg.
So ist die sogenannte Straftäterdatei Linksextremismus zuletzt im Jahr 2011 vom damaligen Bundesbeauftragten für den Datenschutz Peter Schaar geprüft worden. Das Ergebnis: Einige tausend Einträge mussten gelöscht werden.
Nicht selten landen in dieser Straftäterdaten die Namen von völlig unbescholtenen Bürgern, die niemals wegen einer Straftat vor einem Gericht standen und gegen die auch kein Ermittlungsverfahren läuft. Dem liegt ein methodischer Fehler zugrunde.
Zum einen werden sogar Anmelder von Demonstrationen und sogenannte „Prüffälle“ in diese Straftäterdatei aufgenommen. Zum anderen werden auch Namen aus Projektdateien übernommen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt führt.
„
Dabei musste ich schwere Rechtsverstöße feststellen“, urteilt Datenschützerin Andrea Voßhoff in ihrem Tätigkeitsbericht 2015/2016. Denn hier waren Personen gespeichert, die an einer vollkommen friedlichen Anti-Kernkraft-Demonstration teilgenommen hatten.
Fragwürdige politische Einschätzungen im Innenministerium
Im Bundesministerium des Inneren rechtfertigt man diese Vorgehensweise, weil die Teilnehmer an einer solchen Demonstration „die Nutzung der Kernkraft als Ausdruck des menschenverachtenden kapitalistischen Systems kritisieren und dementsprechend Kernkraftgegner dieses kapitalistische System überwinden wollten.“
So fasst die Bundesdatenschützerin die Argumentation des Innenministeriums zusammen. Darauf angesprochen, ob das Innenministerium diese Argumentation auch heute noch aufrecht erhalte, teilte die Pressestelle des Ministeriums Mittwochabend mit: „Leider liegen diese Informationen im BMI nicht vor.“
Noch schlimmer sieht es bei den sogenannten Vorsorgedateien mit Prüffällen im Bundeskriminalamt aus. Da geraten denn auch schon einmal Datenfelder bei Abfragen so durcheinander, dass gar nicht mehr nachvollzogen werden kann, weshalb ein bestimmter Eintrag vorgenommen worden ist.
Außerdem wird die technisch notwendige und gesetzlich in vielen Fällen vorgeschriebene Protokollierung für alle Einträge in diesen Dateien in vielen Fällen einfach umgangen, nachträglich verändert oder einfach ausgeschaltet.
Datennebel statt transparenter Dokumentenverwaltung gilt im Bundesinnenministerium als Machtmittel. Das Bundeskriminalamt speichert zum Beispiel sogenannte Kontakt- und Begleitpersonen. Für diese Speicherung reicht schon aus, zur selben Zeit am selben Ort wie ein Verdächtigter gewesen zu sein. Erst durch weitere Dokumente, die im Fachjargon „Aktenrückhalt“ genannt werden, ergibt sich, was es mit einem solchen Eintrag genau auf sich hat.
In den Berichten der Datenschützer wird schon seit einigen Jahren immer wieder kritisiert, dass diese Dokumente aus dem „Aktenrückhalt“ fehlen. So kann zu Beispiel beim Eintrag in eine Datei zum Thema Terrorismus gar nicht mehr festgestellt werden, weshalb die betreffende Person in die Datei eingetragen wurde
Weiterführend links:
Tätigkeitsberichte der/des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit
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