Immer lauter ertönt die Frage, ob die Profession, die wir „Journalismus“ nennen, überhaupt noch eine Zukunft hat. Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir mit der Bestandsaufnahme dessen beginnen, was wir heute noch Journalismus nennen. Auf den ersten Blick fällt dabei auf, dass Journalismus in der gegenwärtigen Diskussion zuvörderst als krisengeschüttelter Beruf gesehen wird.
Deshalb will ich beginnen mit der Krise des Journalismus. Wo liegt der Ausgangspunkt dieser Krise?
Die Krise des Journalismus ist ja ein viel diskutiertes Sujet. Allerdings wird in den Krisengesprächen, Diskussionen über die Zukunft des Journalismus und den teils überschwänglich vorgetragenen Forderungen nach einer Neuerfindung des Journalismus eines gern vergessen: Die Krise des Journalismus ist zunächst einmal eine Krise journalistischer Persönlichkeiten.
Und die hat viele Aspekte. Zunächst einmal müssen wir feststellen: Journalistische Persönlichkeiten sind rar geworden. Stattdessen ist eine weit reichende Haltungslosigkeit immer öfter anzutreffen. Wer ohne Haltung vor sich hin sendet oder Seiten mit beliebigen Inhalten füllt, verfolgt natürlich keine journalistische Intention. Wer keine journalistische Intention verfolgt, kann seine Leser, Hörer oder Zuschauer weder begeistern noch herausfordern.
Wer keine journalistische Intention verfolgt, eckt allerdings auch nicht an. Kein Politiker oder Ministerialer, kein (beamteter) Mandatsträger oder Lobbyist, kein Unternehmer oder Interessenvertreter wird gegen inhaltsneutral agierende Journalisten vorgehen, wohl aber gegen Autoren, die ihre journalistischen Intentionen – vielleicht sogar mit Wucht – vortragen.
Das Unangenehme am kritischen Journalismus sei, dass er auch im Nachhinein viel Arbeit mache, argumentierte kürzlich die Führungskraft eines TV-Senders. Unterlassungsbegehren, Ermittlungen wegen Geheimnisverrats oder aufgrund politischen Drucks vorgetragene Rechtfertigungsanfragen beanspruchen natürlich Ressourcen. Weder Medienhäuser, noch Verlage, noch Rundfunkanstalten wollen diese unangenehmen Konsequenzen ernsthafter journalistischer Arbeit in Kauf nehmen. In der Folge haben wir es immer öfter mit Journalistendarstellern zu tun, die entweder gnadenlos frisch vom Teleprompter ablesen können oder zumindest die zehn wichtigsten Buzzwords aus dem Medien-Bingo in jede Moderation und jede Diskussion einstreuen können.
Schreiben und Senden in jede Richtung ist dann für viele Kollegen kein Mangel an Haltung, sondern eben schlicht der Job. Sie legen sich selbst keine Rechenschaft über ihr Tun ab. Deshalb brauchen wir wieder eine verstärkte berufsethische Reflexion und nicht nur Sonntagsreden darüber. Und wir brauchen wieder journalistische Bildung, die Ziele verfolgt und nicht nur Zwecke. Vor allen Dingern aber brauchen wir journalistische Persönlichkeiten, Typen, die anecken. Sonst werden wir diese Krise des Journalismus nicht überwinden.
Vor allen Dingen aber müssen wir unter den Journalisten die Leidenschaft für gründliches Denken wieder wecken. Denn in unserem Gewerbe wird nicht nur zu wenig gedacht, sondern vor allen Dingen zu wenig systematisch gedacht, und es wird oftmals nicht redlich gedacht.
Oftmals ist festzustellen, dass denkende hochgradig unerwünscht sind. Beginnen die gar noch mit einer berufsethischen Reflexion, und wird diese Reflexion vom Leser, Hörer oder Zuschauer her vorgenommen, dann wird sie nicht selten bekämpft. Ein paar moralische Betrachtungen, bitte eher oberflächlich, bleiben dann für die Sonntagsrede.
Im journalistischen Alltag findet ethisches Nachdenken nicht mehr statt. „Denken wird ja im allgemeinen überschätzt“, sagte kürzlich ein CvD, und das war nicht nur spaßhaft gemeint. Daraus resultiert auch die so häufig anzutreffende Haltungslosigkeit in diesem Beruf, Schreiben in jede Richtung ist dann für viele Kollegen kein Mangel an Haltung, sondern eben schlicht der Job.
Sie legen sich selbst keine Rechenschaft über ihr tun ab. Die Folge ist ein besinnungsloses Schreiben. Typen mit Haltung, journalistische Persönlichkeiten fehlen deshalb in unserer Zeit. Spreche ich – auch im Journalistenverband – über journalistische Bildung, die Ziele hat und nicht nur Zwecke verfolgt, ernte ich ungläubiges Staunen.
Dieser Beruf ist also aus identifizierbaren Gründen in einer ernsten Krise. Und diese Krise haben wir Journalisten mit verursacht. Wir können sie nur dann überwinden, wenn wir diese Ursachen auch in den Blick nehmen. Wir müssen unser Kanzeldenken aufgeben zugunsten der Diskussion und Begegnung mit dem Leser, Hörer, Zuschauer auf Augenhöhe. Wir müssen die fachlichen und methodischen Defizite angehen. Und da haben wir viel zu tun.
Viele Journalisten recherchieren nicht mehr, weil sie damit überfordert sind. Andere weigern sich, forensische Methoden für die Recherche zu lernen. Die berufsethische Reflexion fehlt weitgehend. Die meisten Kollegen legen sich selbst nicht einmal mehr Rechenschaft ab über ihr journalistisches Tun.
Die Krise des Journalismus als auch persönliches Versagen zu begreifen, weisen die meisten weit von sich. Sie haben es sich im journalistischen Mainstream bequem eingerichtet und wollen auf gar keinen anecken, sondern einfach ohne größere Kraftanstrengung durch den Arbeitsalltag kommen. Diese Situation kann ich natürlich nur sehr zurückhaltend kritisieren, wenn ich sie ändern will.
Das muss vermittelnd geschehen. Sonst erschrecken die Menschen. Und Journalistinnen und Journalisten sind nach meiner Erfahrung besonders leicht zu erschrecken.
Wir müssen uns also verständigen über den Zustand des Journalismus im Zeitalter seiner Wertlosigkeit. Journalismus wird von vielen nicht mehr als wertvoll empfunden, weil er Wert-los geworden ist. Zu viele Journalistendarsteller und Medienagenten haben sich von der Verpflichtung auf Wahrhaftigkeit als dem grundlegenden Wert in diesem Beruf verabschiedet.
Zu viele haben ihre Haltung verloren und schreiben in jede beliebige ihnen vorgegebene Richtung. Diese Richtung kann vom Mainstream oder von einer einzelnen Interessengruppe bestimmt sein. Zu viele machen von ihrer Vernunftbegabung keinen Gebrauch mehr. Sie setzen in ihren Beiträgen ausschließlich auf emotionale Wirkung. Die Wächterfunktion wird so großenteils außer Kraft gesetzt. Denn diese setzt eine vernünftige Betrachtung und wertgeleitete Einordnung politischer Vorgänge voraus.
Neben der Wächterfunktion haben sich auch viele Journalisten der Aufgabe entledigt, Aufklärung als zentrales journalistisches Ziel anzustreben. Das entspricht der Vorgabe zahlreicher Hierarchen in den Medienhäusern und Sendeanstalten, die Informationsschiene zu Gunsten der Unterhaltungsschiene abzubauen. Wenn sie die Wahl habe zwischen einem Beitrag über Korruption in einem Rathaus und dem ersten Softeis der Saison, würde sie sich selbstverständlich für den Beitrag über das Softeis entscheiden, meinte die Hierarchin einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt.
Denn der politisch-investigative Beitrag würde einen riesigen Rattenschwanz an Arbeit nach sich ziehen. Solche Beiträge würden nämlich stets erhebliche politische Diskussionen und rechtliche Auseinandersetzungen auslösen, Beiträge wie der über das Softeis demgegenüber nicht.
Hier geben immer mehr Führungsverantwortliche auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die genuine Aufgabe ihrer Häuser, für eine informationelle Grundversorgung der Bürger zu sorgen, mehr oder weniger aus Gründen der Bequemlichkeit auf. Wir Journalisten machen das mit. Zumindest verzichten wir in solchen Fällen allzu oft auf Protest.
Der Journalismus sei in eine Krise geraten, so ist allenthalben zu hören. Als Ursache der Krise werden dann gern wirtschaftliche angeführt. Doch das greift viel zu kurz. Natürlich verschärfen die ökonomischen Konsequenzen der Strukturänderungen in der gesellschaftlichen Kommunikation die krisenhaften Erscheinungen im Journalismus.
Wir Journalisten dürfen uns aber nicht auf die bequeme Position zurückziehen und mit Nennung wirtschaftlicher Gründe für diese Krise unsere Mitverantwortung an dieser Krise bequem abschieben.
Das Bedürfnis nach sauber recherchierten und gut gemachten Geschichten ist groß. In zahlreichen Diskussionen mit Hörern und Zuschauern werde ich damit immer wieder konfrontiert. Aber unsere Leser, Hörer und Zuschauer wollen auch immer stärker wissen, wie eine Geschichte zustande gekommen ist, welches Ausgangsmaterial für diese Geschichte den Journalisten zur Verfügung stand, wie die einzelnen Rechercheschritte ausgesehen haben. Hier müssen wir transparenter arbeiten, natürlich unter Wahrung aller Anforderungen, die der Informantenschutz an die journalistische Arbeit stellt.
Keine Frage, der aufgeklärte und mündige Mediennutzer bleibt ein Leitbild. Doch der Anteil der mündigen Leser, Hörer und Zuschauer ist gar nicht so klein, wie wir immer denken. Es ist eine gleichwohl oftmals schweigsame Minderheit. Aber diese Minderheit wächst.
Diese Mediennutzer verlangen von Journalisten eine wertorientierte Ausübung ihres Berufs, bei der die Wertebasis deutlich kommuniziert wird. Der Journalist muss bereit sein, sich für seine Wertorientierung zu verantworten. Das aber setzt eine Wertorientierung voraus, die bei zu vielen Kollegen fehlt. Und dieser Dialog mit den Mediennutzern setzt einen aufklärenden und aufgeklärten Journalismus voraus. Nur dann kann die Kommunikation mit den Mediennutzern auf Augenhöhe gelingen.
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Harald (Dienstag, 03 April 2018 16:10)
Ich teile ihre Einschätzungen. Allerdings sehe ich hier nicht einzelne Journalisten in der Pflicht! Das Management hat dieses Problem verursacht und verschärft, indem Kosten gesenkt wurde, Spezialisten nicht angemessen bezahlt und eingesetzt werden und zu guter Letzt die Pluralität in den Redaktionen nicht angestrebt, sonder wohl eher vermieden wird.
Gerade bei sozialen Themen sollte eine Redaktion sich wirklich gegenseitig "kloppen". Wie soll das gehen, wenn keiner von denen jemals HartzIV bezogen hat und somit seinen Standpunkt mit vehemenz gegen den Rest der "Eliten" verteidigt?
Ein probates Mittel würde ich in einer progressiven Redaktion mit Angestrebtem Streitpotential sehen. Da dürften sehr interessante Artikel am Ende raus kommen...