Chaos-Baustelle im Hospitalviertel seit einem Jahr außer Kontrolle
Baulärm, so laut wie ein startendes Düsenflugzeug - das geht den Anwohnern an der Hohe Straße/ Leuschnerstraße in Stuttgart-Mitte seit einem Jahr an die Nerven. Hinzu kommen tagelange Ausfälle von Telefon und Internet, wenn mal wieder eine Glasfaser auf der teilgesperrten Leuschnerstraße angebohrt wird.
Anwohnerbeschwerden wischt man beim grünen Baubürgermeister Peter Pätzold vom Tisch. "Die Beschädigung von Infrastruktureinrichtungen anlässlich der Bauarbeiten ist sehr bedauerlich, jedoch keine Angelegenheit, für die die Stadtverwaltung zuständig ist", ließ der Baubürgermeister die Anwohner wissen.
Nachdem Bohrmeißel mit bis zu 128 Dezibel tagelang im Dauerbetrieb waren, gingen im April und Mai 2017 Beschwerden beim Amt für Umweltschutz ein. Doch Dr. Hans-Wolf Zirkwitz, Leiter des Amtes für Umweltschutz, gab den knallharten Behördenchef, treu an der Seite der Bauherrin: Baulärm verursache nun mal Geräuschspitzen. "Stellen diese für Sie ein Problem dar, bleibt nur, die Fenster geschlossen zu halten", teilte er schließlich am 3. Juli 2017 schriftlich mit.
Den Journalisten um Peter Welchering im Korrespondentenstudio Stuttgart in der Lange Straße reichte das. Mit Lärmmessungen kennen sie sich als Hörfunkjournalisten, die für die ARD und den Deutschlandfunk arbeiten, aus.
Mit Messtechnik, wie sie in jedem ARD-Studio installiert ist, dokumentierten sie die massiven Überschreitungen des gesetzlich festgelegten Grenzwertes für Baulärm. "Verglichen mit der Baustelle geht es auf Autobahnen und in Fußballstadien leise zu", kommentiert Peter Welchering die Messwerte, die sich über Monate hinweg auf jeweils 75 bis 90 Dezibel beliefen.
"Es war und ist höllisch laut!" Dabei könnte dieser Baulärm in den meisten Fällen sogar mit ein wenig Aufwand vermieden oder zumindest deutlich reduziert werden.
Doch die Stadt Stuttgart wollte und will die vorliegenden Messwerte nicht anerkennen. Mit anwaltlicher Hilfe setzten Welchering und seine Kollegen allerdings nicht nur durch, dass vier Monate nach den ersten Beschwerden endlich Techniker des Gewerbeaufsichtsamtes Messungen vornahmen.
Die amtlichen Messungen bestätigten die Messungen der Hörfunkjournalisten. "Das war ja auch nicht anders zu erwarten, wir setzen die gleichen Messmethoden ein", kommentiert Welchering. Die Hörfunker setzten außerdem per Anwalt und mit Unterstützung des Deutschen Journalisten-Verbandes eine Anordnung gegen den Baulärm durch, die am 1. September 2017 in Kraft trat.
"Nur hat die Bauherrin diese Anordnung schlichtweg ignoriert", schildert Welchering. Der Prokurist der Bauherrin erklärte schriftlich, man sei lediglich bereit, gesetzliche Vorschriften "einzuhalten sofern dies möglich ist". Und was Aufwand auf der Baustelle verursacht, ist nun mal eben nicht möglich.
Entsprechende Anzeigen verschleppte das Amt für Umweltschutz. "Einige verschwanden sofort nach dokumentiertem Eingang im schwarzen Loch der städtischen Dienststelle", ärgert sich Welchering.
Er beschwerte sich beim Regierungspräsidium. Das führte letztlich zwar zu einer zweiten Anordnung gegen den Baulärm, die am 15. November 2017 in Kraft trat. Doch auch die wird einfach nicht umgesetzt. "Das Amt für Umweltschutz weigert sich sogar, die eigenen Anordnungen umzusetzen, das ist vollkommen absurd", meint Peter Welchering.
Mehrfach wurde die Landespolizei eingeschaltet. Die kam zur Baustelle, nahm die Anzeigen auf, sicherte die Messprotokolle, gab die Angelegenheit an das Amt für Umweltschutz weiter - und es passierte nichts. "Wir haben es hier mit einem totalen Behördenversagen bei der Stadt Stuttgart zu tun", urteilt Peter Welchering.
Den Anwohnern im Hospitalviertel bleibt nicht anderes übrig, als die Umsetzung der Anordnungen gegen Baulärm, die seit Monaten rechtsgültig sind, immer wieder vor dem Verwaltungsgericht zu erstreiten. "Und das müssten wir bei jedem Vorfall, also an jedem zweiten Tag tun", versteht Welchering die völlige Untätigkeit der kommunalen Beamten nicht.
Zunächst begründete Amtsleiter Hans-Wolf Zirkwitz noch, man habe nicht die personellen Ressourcen, um den Beschwerden nachzugehen und amtliche Messungen vorzunehmen. Die professionellen Messprotokolle der Hörfunkjournalisten ignorierte er gleichwohl.
Auch Zeugenaussagen und Fotodokumentationen verschwanden in den Akten und waren dann plötzlich unauffindbar. Der Amtschef war nicht einmal bereit, auf Messtechniker
aus dem Umweltministerium zurückzugreifen, um die gesetzlich vorgeschriebenen Messungen durchzuführen.
"Oberbürgermeister Fritz Kuhn sollte hier endlich mal ein Machtwort sprechen", fordert Peter Welchering. Außerdem bitten die Hörfunker jetzt den Stuttgarter Gemeinderat, hier tätig zu werden, damit das seit einem Jahr andauernde Behördenversagen endlich aufhört.
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