Das Scheppern hören, wenn ein Weltbild von der Wand fällt – als Ausgangspunkt einer Meditation. Ich bin bei Arnold Metzger gelandet, dessen frühe „Phänomenologie der Revolution“ mich schon als Student beschäftigt und begeistert hat.
Metzger war immerhin vier Jahre Assistent Husserls, aus Sibirien geflohen und nach dem Ersten Weltkrieg als Soldatenrat mit einer nicht zu unterschätzenden politischen und teilweise auch denkerischen Wirkung. Das brach nach seiner Emigration 1938 für Deutschland ab und konnte auch nach seiner Rückkehr nach München nicht wieder so recht etabliert werden.
Ein jüdischer konfessionsloser Linksintellektueller, der Phänomenologie, Existenzialismus und Sozialismus zusammendachte, das erschien den Deutschen der fünfziger bis siebziger Jahre verdächtig, damit wollten sich auch die Gartenzwergdenker der universitären Disziplin nicht einlassen.
Nun konnte ich Metzgers Hauptwerk „Freiheit und Tod“ antiquarisch erwerben. Husserl hat sich Metzger gegenüber in einem Brief vom 4. September 1919, also noch vor Metzgers Zeit als Assistent bei ihm, zu seinen übermächtigen religiösen Erlebnisse und Umwendungen geäußert. Die beiden hatten fachliches Zutrauen und menschliches Vertrauen zueinander. Das hat sie verbunden.
In Metzgers Freiheit und Tod finde ich den Satz „Kunst wird angesichts des Todes zur Meditation.“ Zuvor verweist er auf die letzten Quartette Beethovens. Ich habe sie noch einmal gehört und habe mein Scheppern wiedergefunden. Das Scheppern als hörbares Symbol, „Zeichen des Unsichtbaren“, wie Arnold Metzger es auf den Punkt gebracht hat, aber auch als Zeichen für etwas Neues, das sich ankündigt.
Metzger setzt sich in „Freiheit und Tod“ mit denselben denkerischen Quellen von Platon über Kant und natürlich Husserl, abgekehrt vom existenzphilosophischen Hosenmatz Heidegger, der das Sein objektivieren wollte, bis hin zu Heraklit auseinander, die ich während der vergangenen Monate auch angefragt habe. Er stellt teils ähnliche, teils dieselben Fragen.
Die sehnsüchtige Intentionalität denkt Metzger als Lebenstrieb, der nach Dauer trachtet. Der Wille zur Dauer ist der Wille zur Zukunft. Das zeigt er am Beispiel jeder cogitatio. So wird Leben zur sterbenden Gegenwart. Besonders beeindruckt hat mich: „Wir sterben ständig, aber sterbend stehen wir auf, und, was wir das lebendige Kontinuum nennen, das Kontinuum der Zeit, ist in Wahrheit das Kontinuum von Tod und Auferstehung, derart, dass das auferstehende Leben, sich dessen erinnert, was es vor dem Sterben gewesen ist, und erwartend und hoffend in die zukünftige Dauer hineinschreitet.“
Daran wird mir deutlich, dass ich dringend noch einmal Husserls Analysen zum inneren Zeitbewusstsein lesen muss. Eine jede Cogitatio als Einheit von wahrnehmender Gegenwart, Erinnerung und Horizonterwartung, das habe ich bisher nur als Konstitutionsleistung der transzendentalen Subjektivität begriffen, aber es ist die Struktur des Lebens, die bewusst wird, wenn wir das Leben vom Tod her denken.
„Den Tod abwehrende Triebe in jeder cogitatio“, schreibt Metzger, dieser Tausendsassa denkt Husserls Reduktion vom gelebten Leben her. Da wird sie plötzlich wichtig für mein Leben und nicht nur für die Frage nach der methodisch sauberen Analyse der Konstitution von Welt.
Das Scheppern war das Scheppern des Lebens als Symbolon, als Zeichen für die Bedingung der Möglichkeit von Leben. „Der Tod reicht in den Erlebnisstrom hinein“. Das verändert den Charakter der transzendental-phänomenologischen Reduktion massiv. Es wird ein Antworthorizont möglich für die Frage: Was darf ich hoffen? Der Antworthorizont lautet: Du darfst hoffen, was Deine Erwartungen Dir zu hoffen erlauben.
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