Die Darstellung dieser Wegekomplexe beginnt bei Ante Pažanin mit zwei
– freilich affirmativ formulierten – Fragen:
1. Welches Verhältnis besteht zwischen Philosophie und Psychologie? 2. Warum ist ein psychologischer Weg in die Philosophie überhaupt von Bedeutung?
Die Antworten auf beide Fragen können – so Pažanin – der zweiten Bearbeitung des "Encyclopedia-Britannica-Artikels" "Phenomenology"[1]
entnommen werden:
Zunächst wird der grundlegende Unterschied zwischen positiven Wissenschaften und Philosophie benannt. "Da die positiven Wissenschaften in ihrer Geradehineinstellung auf das Seiende die
Gesamtheit 'alles dessen, was ist' erforschen, versucht die Philosophie 'seit ihren entscheidenden Anfängen' bei den Griechen, das 'Seiende', nicht 'dieses oder jenes Seiende zu bestimmen',
sondern 'das Seiende als Seiendes, d.h. hinsichtlich seines Seins zu verstehen'"[2]
Dieser Verstehensbemühung versucht die Phänomenologie durch den Rückgang auf das Bewusstsein gerecht zu werden.
Dies wird durch die Methode der Reduktion ermöglicht. An dieser Stelle stellt sich auch der argumentations-logische und wissenschaftstheoretische Zusammenhang zwischen Psychologie und
Philosophie klar heraus. "Da die Philosophie des Rückgangs auf das Bewusstsein bedarf, um ihr Seinsproblem zu lösen, muss ihr Weg selbst ein Weg sein, der vom Psychischen, vom Bewusstsein
ausgeht."[3]
Das Bewusstsein lässt eine Blickwendung zu, wodurch es selbst als "Bewusst-Sein", als bewusstes Sein zum Gegenstand der philosophischen Arbeit und Forschung wird. So lässt sich auch der
Husserlsche Phänomenbegriff erläutern. Phänomene sind dann "die Weisen des Gegenstandswerden des Bewusstseins selbst (…), weil sich in ihnen 'alles, wozu wir uns verhalten', zeigt". "Die
phänomenologische Einstellung ist daher eben die 'Umwendung des Blickes' auf die 'Phänomene' selbst, d.h. auf die Erfahrung des Bewusstseins rein als solchem. Somit wird 'das rein Psychische
zum Gegenstand'."[4]
Deshalb erhält auch die ergänzende Abstraktion des Psychologen eine recht große Bedeutung. Damit das rein Psychische zum Gegenstand werden kann, muss von allen psychophysischen Zusammenhängen
abstrahiert werden, und es darf nur auf das rein Psychische, auf die Erlebnisse als solche geblickt werden. Durch diese ergänzende Abstraktion wird nicht nur ein Zugang zum rein Psychischen
geschaffen, sondern das rein Psychische wird durch sie zum eigentlichen Arbeitsfeld einer reinen oder phänomenologischen Psychologie. So kann dann das Psychische in einer phänomenologischen
Einstellung beschrieben werden. Hierbei stellt sich heraus, dass das so zu beschreibende Seiende durch Intentionalität charakterisiert ist. Die Intentionalität der Erlebnisse wird als Hinweis
auf die Wesensstruktur des Bewusstseins verstanden. Hieraus ergibt sich auch eine klare methodische Forderung: "Da die Grundverfassung des Gegenstandes der reinen Psychologie die
Intentionalität ist, 'muss die phänomenologische Blickwendung auf Erlebnisse so vollzogen werden, dass sich diese in ihrer Intentionalität zeigen und bezüglich ihrer Typik erfassbar
werden'."[5]
In der phänomenologisch-psychologischen Reduktion finden wir diese geforderte Zugangsmethode zum rein Psychischen als Phänomen, wobei im konkreten Vollzug dieser Zugangsmethode zunächst ein
Zugang zu einem faktischen, einmaligen "Erlebniszusammenhang des jeweiligen Selbst"[6]
als des rein Psychischen des jeweiligen Selbst geschaffen wird. Dennoch darf die so begonnene phänomenologisch-psychologische Forschung nicht als Forschungsprojekt einer positiven
Psychologie, welche am Faktisch-Psychischen interessiert ist, verstanden werden, sondern es handelt sich um die Suche nach dem "notwendigen Formstil (Eidos) des Erlebnisses"[7],
nach dem, was allen Erlebnissen in allen Variationen invariant verbleibt. Diese eidetische Analyse – so bezeichnet Husserl selbst das Verfahren der Suche nach Invariantem – "leistet 'die
Herausstellung des notwendigen Struktursystems, ohne dass eine Synthesis mannigfaltiger Wahrnehmungen', Denken, Wollen etc. 'als Wahrnehmung', Denken, Wollen etc. 'von einem und demselben
Ding undenkbar wäre.'"[8]
Somit nähern wir uns auch der Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Psychologie und Philosophie. Die phänomenologische Psychologie wird zwar durch die methodischen Instrumentarien
"phänomenologische Reduktion" und "eidetische Analyse" in die Lage versetzt, Grundbegriffe der Psychologie, ohne die nicht sinnvoll von "Ich", "Bewusstsein", "Bewusstseinsgegenständlichkeit"
usw. gesprochen werden könnte, zu erarbeiten – ist also in gewisser Hinsicht Fundierungswissenschaft für die empirische Psychologie –, sie hat damit aber noch keinen Beitrag zur Lösung des
Problems einer Begründung der Philosophie als Wissenschaft geleistet. Dieser Beitrag kann erst durch den Rückgang in die Dimension der transzendentalen Subjektivität geleistet werden. Der so
dargestellte Sachverhalt lässt Pažanin urteilen: "'Die reine Psychologie als positive Wissenschaft vom Bewusstsein weist zurück in die transzendentale' Phänomenologie als transzendentale
'Wissenschaft von der reinen Subjektivität.' Der entscheidende Punkt auch für dieses Verhältnis ist also 'die Scheidung zwischen Positivität und Transzendentalität.'"[9]
Deshalb muss der Philosoph auch nach Vollzug der psychologischen Reduktion, welche lediglich auf das Arbeitsfeld der transzendentalen Phänomenologie hinweist, die transzendentale Reduktion
vollziehen, welche die Arbeit und Forschung innerhalb der transzendentalen Dimension erst ermöglicht. So muss also der Vollzug "zweier" Reduktionen geleistet werden, um die transzendentale
Subjektivität als rein subjektives Apperzipieren erforschen zu können. Doch gilt für diese "beiden" Reduktionen, was auch für die "Doppeldeutigkeit" der Begriffe vom Subjektiven gilt. Das
transzendentale Ich ist zwar vom natürlichen Ich verschieden, aber es ist "keineswegs als ein zweites, als ein davon getrenntes im natürlichen Wortsinn, wie umgekehrt auch keineswegs ein im
natürlichen Sinne damit verbundenes oder mit ihm verflochtenes"[10]
anzusehen. Vielmehr stellt sich im Übergang von der transzendentalen Selbsterfahrung in die psychologische Selbsterfahrung eine Identität des Ich ein. Diese wird durch eine
Einstellungsänderung herbeigeführt. Allerdings führt Husserl – soweit mir ersichtlich – nicht weiter aus, wie diese Identität gedacht werden muss. Die Frage, inwieweit diese als Grenzwert zu
verstehen sei, erscheint mir zwar als äußerst interessante, aber nicht mehr im Rahmen dieser Bearbeitung beantwortbare, weil eine Klärung des Zusammenhanges von Identitätsbegriff und
Grenzwertbegriff von mir nicht mehr geleistet werden kann.
Pažanin ist der Meinung, dass auch diese Identität vom "Parallelismus-Gedanken" von Psychischem und Transzendentalem her gedacht werden müsse, zumal die transzendentale Erfahrung die
transzendental reduzierte objektive Welt bzw. die reduzierte rein psychologische Erfahrung sei. So ergebe jede rein seelische Erfahrung eine von allem Mundanen gereinigte transzendentale
Erfahrung. Ähnlich ist für Pažanin auch die Einstellungsänderung zu beschreiben, welche vollzogen werden muss, um die "Verwandlung" des seelischen ego in das transzendentale ego untersuchen
zu können. Diese Einstellungsänderung ist aber nicht nur ein Wechsel der Perspektiven oder der Hinsichten, sondern vielmehr eine Änderung, und zwar eine radikale Änderung der gesamten
Lebensform. Die transzendentale Reduktion muss als radikale Einstellungsänderung verstanden werden, weil sie die Erfassung des Wesens bzw. des Seins der transzendentalen Subjektivität
ermöglicht. So ergibt sich schließlich, dass eine phänomenologische Psychologie zwar propädeutische Funktion übernehmen kann und zur transzendentalen Reduktion hinzuleiten in der Lage ist,
aber dass die systematische und methodische Erweisung und Erfassung der transzendentalen Subjektivität nicht von einer phänomenologischen Psychologie abhängig ist, weil "das Wesen der
transzendentalen Subjektivität ein Transzendental-in-sich-und-für-sich-konstituiert-sein ist" und somit "keiner Positivität, als auch keiner Psychologie"[11]
bedarf. Die von Husserl auf diese Weise – in ihrer propädeutischen Funktion durchaus bedeutsame, aber in ihrer methodischen Funktion von der transzendentalen Reduktion als dem direkten Weg in
die transzendentale Dimension umgriffene – geschilderte phänomenologische Psychologie darf "nicht mehr im Dienst der transzendentalen Philosophie stehen, denn durch die transzendentale
Reduktion ist eine 'Umdeutung' des Psychologischen wie jedes Positiven 'ins Transzendentale' vollzogen."[12]
Die Verbannung der phänomenologischen Psychologie in das Gebiet der Propädeutik scheint mir zugleich die Frage nach den Verbannungsgründen aufzuwerfen. Als solcher Verbannungsgrund kann
offensichtlich nicht die nach der phänomenologisch-psychologischen Reduktion erfolgte Umwendung alles Positiven ins Transzendentale durch die transzendental-phänomenologische Reduktion
angeführt werden, weil durch die Überwindung des Anfangs derselbe noch nicht überflüssig wird. Gerade durch eine Funktionszuweisung wie der oben beschriebenen intendiere Husserl – so führt
Pažanin aus – "seiner alten Trennungsthese" treuzubleiben.[13]
Die Unterscheidung zwischen der "Dimension der Positivität" und der "Dimension der Transzendentalität" würde nämlich als Grundanliegen Husserlscher Philosophie gerade gefährdet, wenn die
durch die transzendentale Reduktion vollzogene Umdeutung jedes Positiven "ins Transzendentale"[14]
als eine "ergänzende Anwendung der transzendentalen Problematik"[15]
gefasst werde, welche in der phänomenologischen Psychologie letztlich lediglich unvollständig vorliege. Deshalb führe auch der Weg über die Psychologie letztlich zur "These von der
Vorgängigkeit des transzendentalen Ich, von seiner Nichtzugehörigkeit zur Welt und Implikation der Welt mit allen rein apriorischen Wissenschaften in ihm, d.h. in der transzendentalen
Phänomenologie, die 'dazu bestimmt ist, das prinzipielle Organon für eine streng wissenschaftliche Philosophie zu liefern und in konsequenter Auswirkung eine methodische Reform aller
Wissenschaften zu ermöglichen'".[16]
Das transzendentale Ich ist für Husserl nicht der Welt zugehörig, "sondern es impliziert in sich vielmehr die Welt als eine solche geltenden Sinnes, worin dann seine transzendentale
Vorgängigkeit zum Vorschein kommt."[17]
Erst in der Krisis-Schrift – so meint Pažanin – sei Husserl dann zu einer eher geschichtlichen Begründung der Philosophie übergegangen, indem er vom Standpunkt der Lebenswelt her dem Ursprung
von Geschichte und Wahrheit nachgeht. An dieser Stelle mag der diese Bearbeitung dann abschließende Hinweis genügen, dass gerade der von Husserl geforderte und durch die transzendentale
Reduktion methodisch fundierte Schutz vor einer metabasis eis allo genos nicht die Trennung des Ich von der Welt oder gar die Vorgängigkeit des Ich vor allen weltlichen Dingen (das Mehr an
Seinsdignität der transzendentalen Dimension gegenüber der mundanen) evoziert, sondern dass vielmehr durch die durch die transzendentale Reduktion methodisch garantierte Unterscheidung
verschiedener Sichtweisen oder Einstellungen ein – Husserl oftmals "unterschobener" – metaphysischer Idealismus zugunsten eines
(noematisch-)phänomenologischen überwunden werden kann.
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