Streit um S21 - Modelleisenbahn im Supercomputer

 

Im Streit um Stuttgart 21 geht es wieder mal hoch her. Immerhin hatte die Schlichtung erbracht, dass eine Computersimulation durchgeführt wurde, um die Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs zu überprüfen. Doch nach Schlichtung und Stresstest wurde der Streit, wie leistungsfähig der geplante Tiefbahnhof denn wirklich sein würde, auf kleiner Flamme weiter geköchelt. Doch neue Bürgerbegehren und die Auseinandersetzunge im laufenden Planfeststellungsverfahren haben zu einem heftigen Schlagabtausch über die Frage geführt, wieviele Züge im geplanten Durchgangsbahnhof wirklich abgefertigt werden können. Wie leistungsfähig ist also der neue Tiefbahnhof?

 

 

Befürworter wie Gegner berufen sich auf Simulationen. Teilweise wird dabei mit abenteuerlichen Zahlen gearbeitet, so etwa, wenn die Befürworter mit einer Aufnahmekapazität von 51 Zügen argumentieren. Diese Zahl ist nicht einmal in den Simulationen ermittelt worden, die die Deutsche Bahn AG mit einer Software namens Railsys durchgeführt hat, die als Standardwerkzeug für Eisenbahn-Betriebssimulationen gilt und von einer niedersächsischen Softwareschmiede namens RmCon entwickelt und gewartet wird.

 

Beim Stresstest zu Stuttgart 21 lautete die Vorgabe, dass geprüft werden sollte, ob 49 Zugankünfte in der Zeit von 7:00 Uhr bis 8:00 Uhr in Stuttgart Hauptbahnhof möglich sind.

Einige Befürworter nehmen die Ergebnisse dieser Simulation als Argument für eine weitgehenden Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs, die so in den Simulationen gar niocht berechnet wurde.

 

Das ist ein äußerst unredliches Vorgehen. Deshalb lohnt es, einmal den Fragen nachzugehen: Was ist denn wirklich simuliert worden? Welche Ergebnisse hat diese Simulation erbracht? Wie aussagekräftig sind die veröffentlichen Ergebnisse?

 

Die etwas flache Propaganda einiger Befürworter blendet eine seriöse Beantwortung dieser Fragen gerade aus.

 

Eine persönliche Anmerkung sei mir gestattet: Ich bin erst nach sorgfältiger Analyse der Simulationsergebnisse des Stresstests Stuttgart 21 zu einem Gegner von S21. Der Grund dafür ist folgender:

Mit dieser Computersimulation ist lediglich gestestet worden, ob ein Fahrplan mit 49 Zughalten in der morgendlichen Hauptverkehrszeit eingehalten werden kann. Bei dieser Computersimulation ist nicht berechnet worden, welche Leistungsfähigkeit der geplante Stuttgarter Durchgangsbahnhof erreichen kann. Nach den vorliegenden Simulationsparametern können auch nur sehr bedingt Aussagen zu Infrastrukturoptionen getroffen werden, weil die Simulationsparameter nur fünf Infrastrukturoptionen berücksichtigt haben. So ist zum Beispiel ein weiterer Ausbau der Gleisinfrastruktur zum Flughafen Stuttgart nach den hier vorliegenden Modell-Gleichungen nicht modelliert worden.

Mit anderen Worten: Die Simulation hat das Ergebnis erbracht, dass 49 Züge in der morgendlichen Hauptverkehrszeit im Durchgangsbahnhof abgefertigt werden können, wenn keine weiteren Störungen vorliegen. Die Betriebswirklichkeit sieht aber anders aus.

 

Doch kommen wir zurück zur Methodik der Simulation. Denn nur, wer diese Simulationsmethodik versteht, kann einschätzen, welche Ergebnisse eine solche Simulation erbringen kann. In diesem Punkt sind sich auch Verkehrswissenschaftler und Experten für Computersimulationen einig: Die Ergebnisse sind so aussagekräftig wie die zugrunde liegenden Modelle und Betriebsprogramme. Für den sogenannten „Stresstest Stuttgart 21“ ist dabei das Schienennetz in der Region Stuttgart und das Gleisnetz nach den aktuellen Planungen für den Tiefbahnhof modelliert worden.

 

Dabei wird sozusagen eine Modelleisenbahnanlage im Computer nachgebaut, die aus lauter Gleichungssystemen besteht. Auf der Grundlage der modellierten Infrastruktur sind dann bei diesem „Stresstest“ zwei Simulationen mit mehreren Simulationsläufen durchgeführt worden. Simuliert werden bei solchen Stresstest standardmäßig eine Fahrplan und mehrere Betriebsabläufe mit unterschiedlichen Störungsszenarien.

 

Die Fahrplansimulation ist dabei die Grundlage für die Betriebssimulation. Und bei diesen Simulationsläufen wird es dann sehr spannend. Denn hier wird berechnet, was passiert, wenn alle Züge auf den zur Verfügung stehenden Gleisen pünktlich sind, wenn ein oder mehrere Gleise nicht befahren werden können oder wenn erwartete Züge sich durch außerhalb der modellierten Infrastruktur liegende Ursachen verspäten.

 

Bei der Simulation gehen die Entwickler davon aus, dass jeweils die Leistungsfähigkeit eines Teilnetzes berechnet werden soll. Diese Teilnetze können im Laufe der Simulation auch vergrößert werden. So kann zum Beispiel zunächst der reine Haltestellenbereich mit seinem vor- und nachgelagerten Gleisfeld untersucht werden, danach aber auch ein weiteres Teilnetz, wie zum Beispiel das Schienenetz vom Stuttgarter Hauptbahnhof bis zum Haltepunkt Stuttgart-Zuffenhausen.

 

Im Laufe der Betriebssimulation wird die Anzahl der Züge auf dem zu untersuchenden Teilnetz kontinuierlich gesteigert. Die Zeiteinheiten können dabei beliebig gewählt und sogar vom Stundentakt auf Minuten heruntergebrochen werden. Hierbei kommt das Betriebsprogramm mit ins Spiel.

 

Dieses Betriebsprogramm legt fest, welche Zugtypen mit welcher Lokbespannung und mit wie vielen Waggons in das Teilnetz ein- und wieder ausfahren. Das Betriebsprogramm bestimmt, wie lang die fahrplanmäßige Soll-Fahrzeit auf bestimmten Strecken oder ein Haltestellenaufenthalt ist und wie häufig welche Züge auf welchen Strecken verkehren. Bei den Vorgaben wird in der Modellierung der Musterzüge unter anderem definiert, wie schnell jeder Testzug beschleunigen und bremsen kann und wie lang sogenannte „Umrüstzeiten“ sind, die unter Umständen zusätzlich zu den definierten Zeiten der Haltestellenaufenthalte anfallen.

 

Das Simulationsprogramm ermittelt dann einfach die Fahr- und Wartezeiten für jeden einzelnen Zug, der im Betriebsprogramm definiert wurde. Dabei gilt die Spielregel, dass ein Zug, der in einen Gleisabschnitt einfahren will, solange warten muss, wie dieser Gleisabschnitt belegt ist. Das klingt trivial, sorgt aber im tatsächlichen Betriebsablauf für so manches komplexe Problem. Denn alle Betriebsstörungen lassen sich als belegte Gleise abbilden. Und dieser Zustand führt dann zu Wartezeiten.

 

Am Ende eines solchen Simulationslaufs hat die Simulationssoftware dann ganz profan zwei Zahlenwerte ermittelt. Der erste Zahlenwert gibt die Wartezeiten eines Zuges an, die sich unter Umständen bei mehreren Störungen erheblich aufaddieren können. Der zweite Zahlenwert heißt Belastungswert und gibt an, wie viele Züge im untersuchten Teilnetz während eines bestimmten Zeitabschnitts abgefertigt werden können.

 

Für eine derartige Simulation werden unterschiedlich lange Verspätungen der einfahrenden Züge (sog. „Einbruchverspätungen“) und Haltzeitenverlängerungen als zusätzliche Berechnungsparameter eingegeben. Auch dabei handelt es sich wieder um Zahlenpaare, die die Simulationssoftware gemäß dem in einem Gleichungssystem abgebildeten Infrastrukturmodell durchrechnet. So steht etwa das Zahlenpaar „0,5/5,0“ für die Annahme, dass die Hälfte der einfahrenden Züge (0,5 =50 Prozent) eine Verspätung von fünf Minuten aufweisen.

 

Für gewöhnlich werden bei Eisenbahnsimulationen diese Zahlenpaare für jeden Zugtyp extra vergeben und in unterschiedlichen Kombinationen durchgerechnet. Auch bei den Haltzeitenverlängerungen wird mit solchen Zahlenpaaren gearbeitet. Entscheidend ist dabei, ob die angenommenen und durchgerechneten Verspätungen und Wartezeiten an den Bahnsteigen tatsächlich der Betriebswirklichkeit entsprechen oder nicht.

 

Deshalb ist es so wichtig, dass alle Berechnungsparameter und Eingabewerte bei der Ergebnispräsentation solcher Computersimulationen offen gelegt werden, damit überprüft werden kann, unter welchen Simulationsbedingungen bestimmte Schwierigkeiten aufgetreten oder ausgeblieben sind. Dabei kommt es ganz entschieden auf den Simulationsmix bei den Eingabewerten an.

 

Ganz unterschiedliche Verspätungszeiten der verschiedenen Zugtypen mit unterschiedlichen Zugzahlen lassen erst seriöse Aussagen zum Leistungsverhalten eines bestimmten Teilnetzes möglich werden.

 

Alle Eingabewerte und Simulationsparameter zu überprüfen ist eine ausgesprochen zeitraubende Aufgabe. Im Falle des Stresstest zu Stuttgart 21 ist die Computersimulation selbst von der Deutschen Bahn AG durchgeführt worden. Das Züricher Ingenieurbüro SMA hatte lediglich den Auftrag erhalten, alle Eingabewerte und Simulationsparameter zu prüfen.

 

Die Befürworter haben daraus etwas vorschnell abgeleitet, der geplante Tiefbahnhof habe den Stresstest bestanden. Und sie haben weiterhin daraus abgeleitet, er habe eine Kapazitätsreserve von 51 Zügen.

 

Beide Aussagen darf man aus methodischen Gründen so nicht treffen. Denn es ist lediglich berechnet worden, dass ein Fahrplan mit 49 Zughalten in der morgendlichen Hauptverkehrszeit eingehalten werden kann. Das sagt über die Leistungsfähigkeit nichts aus. Weil die Simulationsparameter zudem nur fünf Infrastrukturoptionen berücksichtigt haben, lässt sich damit die von den Befürwortern behauptete Leistungsfähigkeit überhaupt nicht belegen.

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