Rede vor den DJV-Verbandstag 2012 in Kassel am 6. November 2012, dessen Delegierte mich für zwei weitere Jahre in den Presserat entsandt haben:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Situation des Deutschen Presserates gibt Anlass zur Sorge. Wir werden das bei der Antragsberatung im Laufe dieses Verbandstages ja noch diskutieren. Ich will dieser Diskussion nicht vorgreifen, aber lassen Sie mich ein paar Anmerkungen machen, aus denen deutlich wird, wo die Probleme liegen, warum ich wieder für den Presserat kandidiere, obschon mich die Arbeit im Presserat während der vergangenen zwei Jahre erheblich frustriert hat.
Ich bin vor zwei Jahren mit großen Erwartungen und hohen Zielen in den Presserat gegangen und muss Ihnen heute berichten: Weder der Presserat noch ich haben diese Erwartungen erfüllen können. Das ist bitter. Lassen Sie mich drei Punkte nennen, die ich als erhebliche Gefahrenpunkte für den Presserat sehe.
Gegenwärtig wird über die Modernisierung und Erneuerung des Pressekodex diskutiert. Dabei hat sich die Tendenz von Verlegerseite gezeigt, den Presserat von einer medienethischen Instanz zu einer Art vorgerichtlichen Schiedsinstanz zu entwickeln, damit zu degradieren und letztlich überflüssig zu machen. Dem entspricht die Bemühung vor allen Dingen konservativer Kräfte, den Presserat durch einen Medienrat zu ersetzen, der im wesentlichen von den Fraktionen des Deutschen Bundestages besetzt werden soll. Ich habe auf diesen degradierenden Vorstoß der Verleger mit dem Papier „Ethik versus Rechtspositivismus“ geantwortet und lege Ihnen die Lektüre dieses Papiers sehr ans Herz. Wir dürfen die medienethische Instanz Presserat nicht auf kaltem Wege und nicht auf dem Verfügungswege der Politik abschaffen lassen.
Der Trägerverein des Deutschen Presserates hat den Presserat für unzuständig erklärt hinsichtlich der Beschwerden, die sich auf Socail-Media-Auftritte der Verlage und Redaktionen beziehen. Mit Facebook, Twitter & Co. darf sich der Presserat also nicht beschäftigen, nicht mit Facebook-Postings von Boulevardzeitungen, die schwer gegen die Würde des Menschen verstoßen, nicht mit bezahlten Werbe-Tweets von Redaktionen, die nicht als solche gekennzeichnet werden. Und das hat der Trägerverein im Hinterzimmer und nicht etwa das Plenum des Presserates entschieden.
Auch im Kampf für die Pressefreiheit muss der Presserat mutiger und effzienter werden. Viele Bürger haben zu Beginn der jetzt endenden Amtsperiode die Sorge geäußert, dass die Meinungs- und Pressefreiheit von kommunalen Zeitungen und Zeitschriften eingeschränkt werde. Diese kommunalen, also von öffentlichen Verwaltungen herausgegebenen und mit Steuergeldern finanzierten Zeitungen und Zeitschriften haben nämlich in verschiedenen Fällen ein Redaktionsstatut, in dem festgelegt ist, es dürften keine Beiträge veröffentlicht werden, die den Interessen der Stadt – mitunter ausgelegt als Interessen der Verwaltung oder des Oberbürgermeisters – widersprechen. Diese Gefährdung der Meinungs- und Pressefreiheit ist im September 2011 im Plenum des Presserates beraten worden, seitdem prüft der Presserat seine Zuständigkeit.
Das sind unbefriedigende Ergebnisse aus zwei Jahren Arbeit im Presserat. Ich habe deshalb auch mit mir gerungen, ob ich wieder zur Wahl auf dem Verbandstag 2012 antreten soll. Ich habe mich dafür entschieden, weil wir den Presserat als medienethische Instanz dringend brauchen und verhindern müssen, dass er auf kaltem Wege abgeschafft wird. Wenn Sie mich erneut für zwei Jahre in den Presserat entsenden, werde ich diese geschilderte Position nachhaltig und wenn es sein muss, lautstark, vertreten.
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Hans Werner Conen (Mittwoch, 07 November 2012 19:00)
Sehr geehrter Herr Welchering:
wie Sie wissen, stehe ich Ihrer Position zur Medienethik kritisch gegenüber. Ich bin skeptisch, ob überhaupt ein privater Verein über Grundrechtsträger wie Verleger und/oder Journalisten zu "Gericht" sitzen und die Betroffenen ohne faires Verfahren an den Pranger stellen darf.
Obwohl ich im Saal war, habe ich wegen schlechter Akustik und Unruhe im Publikum nicht viel von Ihrer Rede mitbekommen. Ich bin deshalb dankbar, daß Sie den Wortlaut online gestellt haben.
Unbeschadet dessen, daß ich die Diskussion gerne fortführen würde, darf ich fragen, ob Sie eine Verbands-Veranstaltung (in Berlin?) gutheißen und an ihr teilnehmen würden.
Mit besten kollegialen Grüßen
Hans Werner Conen
DJV Berlin-Brandenburg
Fritz (Samstag, 10 November 2012 15:06)
Wir brauchen mehr mutige Preserätinnen und Presseräte.
Nadine (Samstag, 10 November 2012 20:26)
Sorry, aber der Presserat schafft sich doch selbst ab. Allein dass die Ratsvorsitzende Ursula Ernst ihr Interview zurückgezogen hat, nachdem Verleger und reaktionäre Kollegen bisschen Stress gemacht haben spricht doch für sich. Es gibt fast keine seriösen Journalisten mehr, auch im Presserat nicht.
Heike Rost (Sonntag, 11 November 2012 11:13)
Wer Ursula Ernst persönlich kennt, weiß: Sie ist streitbar, setzt sich für KollegInnen ein und hat Rückgrat. Ein solcher Schritt von einer gestandenen Journalistin, die darüber hinaus seit langen Jahren für den DJV Mitglied im Presserat ist, lässt durchaus Rückschlüsse auf den ausgeübten Druck zu.
Und: Es ist an uns, als Journalisten im Presserat dort von Kollegen für Kollegen praxisnahe Ratschläge zu geben - und eine Entwicklung zu einer "vorgerichtlichen Schiedsinstanz" zu verhindern. Professor Schweizer, langjähriges Mitglied des Presserats, hat vor längerer Zeit dazu gesagt: "Wenn etwas presserechtlich in Ordnung ist, heißt das noch lange nicht, dass es ethisch einwandfrei ist." Dem ist nichts hinzuzufügen - außer vielleicht der Gedanke, dass der Rückzug auf juristische und damit definierbare Positionen gleichzeitig auch bedeuten könnte, dass sich ethische und journalistische Positionen langsam auflösen.
@nonym (Sonntag, 11 November 2012 18:34)
Der Presserat zerlegt sich doch ständig selbst, mutiert von selbst zu dieser ominösen "vorgerichtlichen Schiedsinstanz". Weshalb wurden denn Zuständigkeiten an den Werberat abgetreten?
Wenn die nicht bald aufwachen, ist es zu spät.
Karl (Freitag, 16 November 2012 12:27)
Es ist schon zu spät. Was da noch stattfindet ist eine reine Alibiveranstaltung, um die Bürger zu beruhigen.