Die Themen des sechsten IT-Gipfels waren enorm spannend: Cloud-Computing, Stabilisierung des Gesundheitssektors durch Digitalisierung, Ausbau der Breitbandnetze in Deutschland, E-Mobilität, die Energiewende und wie die smarten Stromnetze dabei helfen können. Genug Diskussionsstoff also. Aber diskutiert wurde fast gar nicht auf dem IT-Gipfel. Und über Lösungen wurde erst recht nicht gestritten. Lob gab es dagegen viel. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte die eigene Initiative, mit der ausländische IT-Fachkräfte nach Deutschland geholt werden sollen. Dieter Kempf, der Vorsitzende des Branchenverbandes Bitkom, lobte die Regierung für die Veranstaltung des Gipfels. Und Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler lobte den Branchenverband dafür, dass er beim Gipfel mitmacht.
Bei soviel Lob kamen die eigentlichen Fachthemen mit den dahinter stehenden drängenden Problemen viel zu kurz oder wurden erst gar nicht mehr thematisiert. Die Industrie verspricht sich zum Beispiel ein rasantes Wirtschaftswachstum vom Cloud-Computing, also dem Speichern und Verarbeiten von Unternehmensdaten nicht mehr auf eigenen Firmenservern, sondern irgendwo im Internet. Bearbeitet werden können diese Daten dann mit kleinen handlichen Endgeräten wie Smartphones oder Tablet-Computern, wie dem I-Pad. Damit lassen sich in den Unternehmen erheblich Infrastrukturkosten sparen. Aber bisher scheuen viele Unternehmen vor solchen Cloud-Anwendungen noch zurück. Sie wollen Herr ihrer Daten bleiben, weil ihnen das ganze Cloud-Computing viel zu unsicher ist. Zwischenstaatliche Abkommen, sogar die Einrichtung einer überstaatlichen und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Institution werden gefordert, um Industriespionage per Cloud-Computing zu verhindern und Datensicherheit zu gewährleisten. Ob und welche Vorstellungen die Bundesregierung hier hat, das hat sie zumindest auf dem Münchner IT-Gipfel nicht kundgetan.
Die Gesundheitstelematik ist ein weiteres umstrittenes Thema. Denn nur mit dem stärkeren Einsatz von Telemedizin und einer intelligenten Verwaltung von Gesundheitsdaten kann der Kostenexplosion im Gesundheitswesen noch begegnet werden. Bürger und Patienten stehen dem äußerst kritisch gegenüber. Zu Recht! das haben die bisherigen jahrelangen Verzögerungen bei der elektronischen Gesundheitskarte und die noch immer bestehenden massiven Sicherheitsprobleme eindrucksvoll bestätgit. Der IT-Gipfel wäre ein geeigneter Ort gewesen, um ein schlüssiges Konzept für Gesundheitstelematik und Cybermedizin vorzulegen. Doch der Bundesgesundheitsminister legte nichts vor.
Auch die Energiewende wirft viele Fragen auf. Die Kanzlerin meinte, sie alle beantwortet zu haben, als sie darauf hinwies, dass die Bundesregierung intelligente Stromnetze bauen wolle, und alles werde gut. Zu den damit verbundenen Datenproblemen und den schon jetzt entdeckten ernsthaften Sicherheitslücken der via Internet gesteuerten smarten Stromnetze fiel der Kanzlerin nichts ein. Also schwieg sie. Auch zu einem so drängenden Problem, wie den bisherigen Cyberangriffen auf die Stromnetze in Europa, deren Folgen bislang – gottlob - immer innerhalb weniger Stunden wieder beseitigt werden konnten, fiel weder der Kanzlerin noch dem Bundeswirtschaftsminister etwas Pfiffiges ein. Rösler warnte nur ganz allgemein vor dem Missbrauch digitaler Technologien. Dazu zählen auch Cyberangriffe.
Stromnetze, Wasserwerke, Eisenbahnen – sie alle hängen am Internet, und sie sind damit angreifbar. Fast alle Armeen dieser Welt unterhalten inzwischen entsprechende Cybertruppen. Deshalb ist am Rande in der letzten UNO-Generalversammlung auch eine wirksame Rüstungskontrolle bei den Cyberarmeen gefordert worden. Wie die Bundesregierung dazu steht, wollte sie zumindest auf dem sechsten IT-Gipfel nicht verraten.
Da bleibt am Ende eines langen Gipfeltages nur eine Empfehlung: Die Regierung muss doch sparen. Da sollte sie gleich mit dem IT-Gipfel anfangen und ihn einsparen. Das Geld, das bisher für diese völlig überflüssige Alibi-Veranstaltung ausgegeben wird, sollte besser in Bildungsprojekte investiert werden. Eine Fortbildungsveranstaltung für Mitglieder des Bundeskabinetts zum Thema „Was ist eigentlich dieses Internet“, die würde ja vielleicht für etwas Aufklärung sorgen und die vielen Peinlichkeiten der vergangenen Monate künftig vermeiden helfen. Und Aufklärung ist ja laut Immanuel Kant das Herausführen des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Auch im IT-Zeitalter eine drängende Aufgabe, erst recht für Politiker in Regierungsverantwortung.
Text meines gleichlautenden Kommentars auf SWR 2, 10. Dezember 2011, 10:05 Uhr
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