Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel-Springer AG wurde schon fast religiös. Hatte er doch im US-Fernsehen die Verleger von Zeitschriften und Zeitungen zum Gebet aufgefordert. Springer wörtlich: „Jeder Verleger der Welt sollte sich einmal am Tag hinsetzen, um zu beten und Steve Jobs dafür zu danken, das er die Verlagsbranche rettet“. Rettung bringen soll den Verlagen das iPad, der notizbuchgroße Tablet-PC von Apple, der in Deutschland Ende Mai an den Markt kam und in den USA innerhalb einer Woche 500.000 mal verkauft wurde. Im September soll der deutsche Herausforderer des iPad, das sogenante We-Tab an den Markt kommen. Drei weitere Hardware-Hersteller entwickeln gerade ähnliche Geräte. Geht es also nach dem Willen von Leuten wie Springer-Chef Mathias Döpfner, Time-Abteilungsleiter Terry Mc Donnell oder dem Berliner Internet-Entwickler Helmut Hoffer von Ankershoffen, dann wird es bald beim Frühstück kein Zeitungsrascheln mehr geben. Niemand muss sich mehr mit dem Umblättern großformatiger Seiten mühen. Die heutige Ausgabe der Tageszeitung ist vielmehr über Nacht per Datenfunk auf das iPad, We-Pad oder Aldi-Pad geschickt worden, und der frühstückende Informationshungrige blättert sie mit Wischbewegungen auf dem Bildschirm des flachen Tablet-Computers durch oder stellt sich seine persönliche Zeitungsausgabe nach seinen Interessen zusammen. Am Frühstückstisch von Helmut Hoffer von Ankershoffen, Chef der Berliner Neofonie, die im Herbst einen neuen Tablet-PC an den Markt bringen will, hört sich das dann so an.
Der New Yorker Time-Verlag bietet seine Tageszeitung schon für das I-Pad an und will unbestätigten Informationen zufolge auch beim We-Tab ab September mit von der Partie sein. Während Apple auf seinem I-Pad ein herstellereigenes und geschlossenes Betriebssystem verwendet, das zum Beispiel Flash-Videos nicht zulässt, versprechen die Entwickler des We-Tab einen offenen Tablet-PC an den Markt zu bringen. Ursprünglich haben die Verleger dabei ganz stark auf den neuen Mobilfunkstandard Long Term Evolution gesetzt. Doch die Infrastruktur wird noch einiges an Zeit brauchen. Eine Agentur in Portland entwickelt gerade im Auftrag mehrerer US-Verlage einen virtuellen Zeitschriftenkiosk, den sie in die Hotspots von W-LAN-Dienstleistern integrieren wollen. Die deutschen Verlage setzen gegenwärtig hier etwas einseitig auf UMTS. Bisher werden solche Medienangebote ja als Applikationen, als Apps, für mobile Geräte und deren Betriebssysteme entwickelt. Bisher beherrscht hier Apple auch sehr stark die Diskussion. Die Technischen Leiter in den Verlagshäusern sehen das alle übrigens ausgesprochen differenziert. Die einen setzen sehr stark auf Symbian, weil dieses Smartphone-Betriebssystem eine breite Basis im Markt hat. Die Wirtschaftstitel setzen stark auf Research in Motion mit dem Blackberry. Auf Android ruhen große Hoffnungen. Die Verlagshäuser sehen, dass sie hier unterschiedliche Tablets mit unterschiedlichen Betriebsystemen und mit unterschiedlichen Displaygrößen bedienen müssen. Deshalb etabliert sich dort eine Technik, die man aus dem Fernsehbereich kennt. Da werden ja unterschiedliche Videoformate in sog. Playout-Centers hergestellt. Für die Verlage ist das ein Algorithmus für die Seitenauslieferung, und dieser Algorithmus erkennt das Betriebssystem des jeweiligen Tablet, er „weiß“, welche Displaygröße und welche Auflösung hier vorliegen und organisiert danach das Layout des E-Magazins. Und diese Art der Anpassung muss schon in der Produktionssoftware für die E-Magazine integriert sein. Alle Hersteller von Redaktionssystemen arbeiten an entsprechender Medienproduktionssoftware für Tablet-Produkte, die meisten halten sich aber sehr bedeckt, wenn man sie fragt, was sie da in den nächsten Monaten an den Markt bringen wollen. Etwas offener ist da die Berliner Neofonie mit ihrer Produktionssoftware We-Magazine, das unter anderem Gruner & Jahr für eine Tablet-Ausgabe des Stern nutzen will, und ihrem We-Tab gennanten Tablet-PC, der dem iPad Konkurrenz machen soll. Helmut Hoffer von Ankershoffen betont dabei einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil: das offene System.
Der Holtzbrinck-Verlag, die WAZ-Gruppe, Springer und Gruner+Jahr, sie alle arbeiten daran, die Hochglanz-Inhalte ihre Zeitungen und Zeitschriften auf die Tablet-PCs zu bringen und dabei gleich mit Videos, Audio-Podcasts oder eine Direktverbindung zu einer Suchmaschine anzureichern. Helmut Hoffer von Ankershoffen beschreibt, was dann auf dem Tablet-PC passiert.
Dahinter steckt eine Produktionssoftware, die aus der statischen Zeitung oder Zeitschrift ein elektronisches Magazin macht, mit vielen interaktiven und multimedialen Elementen. Helmut Hoffer von Ankershoffen hat solch eine Produktionsumgebung für mehrere große deutsche Verlage entwickelt.
Solch eine Produktionssoftware für Tablet-Zeitungen oder Zeitschriften muss enorm flexibel sein. Denn das I-Pad zum Beispiel hat eine andere Displaygröße und Auflösung als das We-Tab. Das wiederum unterscheidet sich vom Android-Tablet oder einem Netbook. Die traditionellen Redaktionssysteme werden um solche Produktionssysteme für das mobile Internet erweitert. Allerdings werden dabei deren Grafik- und Layout-Software, durch genau solche Programme wie das we-Magazine und verwandte ersetzt. Diese Programme sehen auf der Oberfläche auch wie traditionelle Layoutprogramme für Zeitschriften aus, nur dass hier nicht nur Text und Bild, sondern auch noch Video, Audio, Picturecast oder ein Link zur Suchmaschine Bestandteile des Layouts sind. Hier wird nicht mehr mit einem statischen Layout gearbeitet, sondern jedes Element in diesem Layout, auf dieser Zeitschriftenseite, egal ob Foto, Video, Text, interaktive Infografik liegt in einer Art Container. Nachdem die Seite dann auf das Tablet überspielt wurde, berechnet der Seitenauslieferungsalgorithmus den bisherigen Konzepten zufolge den ganz konkreten Seitenaufbau, der natürlich von der Displaygröße, den verfügbaren Auflösungen, auch der Bandbreite der Datenverbindung etwa fürs Nachladen eines Videos abhängt. Und hier bilden sich, was die Anpassungsalgorithmen angeht, so ganz ganz langsam erste Ansätze für eine Standardisierung heraus. Die neue Produktions-Plattform der Verlage muss also alle unterschiedlichen Endgeräte bedienen können.
Immerhin können sich einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ears&Eyes zufolge 37 Prozent der Deutschen vorstellen Zeitungen oder Zeitschriften nur noch am Tablet-PC zu lesen. Deshalb stehen die Verleger unter einem enormen Handlungsdruck. Gleichzeitig wissen sie nicht, ob die I-Pad-begeisterten Leser auch bereit sind, für die Zeitung oder Zeitschrift auf dem Tablet-PC Geld zu bezahlen. Auch die bisherigen Anzeigenmodelle funktionieren dort nicht mehr. Immerhin aber sieht eine Produktionsplattform wie We-Magazine schon vor, Werbevideos in die Tablet-Zeitung einbinden zu können. Fragt sich nur, ob der Tablet-Leser die dann auch sehen will.
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Otto M (Dienstag, 21 September 2010 12:28)
Ich hätte andere O-Töne noch hinzu genommen, macht den Beitrag bunter.
Michael (Samstag, 25 September 2010 12:19)
Habe mir das We-Tab angesehen - enttäuscht
Steffi (Sonntag, 24 Juli 2011)
Also ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, nur noch Bücher, Zeitschriften etc. über ein Tablet-PC zu lesen. Ich gehöre da wohl eher zu der Generation, die noch gerne ein Buch oder eine Zeitung in die Hände nimmt.
Daniel (Donnerstag, 12 Januar 2012 11:55)
Ich selbst mache eigentlich beides, also normale Bücher lesen und ein Tablet PC benutzen. Bringt auf jeden Fall hin und wieder etwas Abwechslung. Auf eines dieser Dinge würde ich mich aber nicht festlegen.