Eine Streitschrift für einen wertgebundenen politischen Liberalismus
Die in der FDP parteipolitisch organisierten Liberalen sind mutlos geworden und spüren gleichzeitig eine Sehnsucht nach ethisch begründeten politischen Positionen aus liberaler Weltanschauung. Im nächsten Jahr haben wir im liberalen Stammland eines Carl von Rotteck Landtagswahlen und müssen diese politische Auseinandersetzung in einer ausgesprochen schwierigen Situation bestreiten. Die FDP als Bürgerrechtspartei, als liberale Bildungspartei, als Freiheitspartei in der Tradition eines Philipp Jakob Siebenpfeiffer, als Partei des sozialen Ausgleichs in der Marktwirtschaft, den wir mit den Freiburger Thesen nachdrücklich als politisches Programm umgesetzt haben, die FDP als Programmpartei zur Sicherung individueller Freiheiten in Verantwortung ist zu Teilen zu einer Partei des Taktierens aus Koalitionsräson geworden und hat die programmatische Basis, die notwendig ist, um Regierungsverantwortung zu übernehmen, im bundespolitischen Tagesgeschäft zu weit preisgegeben. Dies ist kein irreversibler Prozess, aber wir müssen ihn umkehren wollen.
In der aktuellen politischen Diskussion wird deutlich, dass werthaltige und richtige Forderungen der FDP nicht mehr aus den geistigen Grundlagen des politischen Liberalismus abgeleitet werden, sondern aus kurzfristigen taktischen Erwägungen. Die Forderung, den elektronischen Entgeltnachweis ELENA zu stoppen, ist hier ein gutes Beispiel. Der Wirtschaftsminister begründet dies mit zu hohen Kosten. Das Kostenargument ist in mehrfacher Hinsicht fatal. Bei ELENA wird Vorratsdatenhaltung von Arbeitnehmerdaten betrieben, die den liberalen Grundwerten von Freiheit, Selbstbestimmung und Respekt vor der Privatsphäre des Einzelnen völlig zuwiderläuft. Nimmt man das Kostenargument des Wirtschaftsministers ernst, darf Vorratsdatenhaltung nicht betrieben werden, wenn sie zu teuer ist. Die liberale Position muss anders begründet werden. Denn das Kostenargument spielt den Befürwortern des Überwachungsstaates mit seinen Vorratsdatenspeicherungen in die Hände und widerspricht gerade liberalen Prinzipien. Den Aufschub von ELENA hätten unsere in bundespolitischer Verantwortung und in das Regierungshandeln eingebundenen Parteifreunde fordern müssen, weil die FDP als Freiheitspartei für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eines jeden Einzelnen eintritt und den durch Vorratsdatenspeicherungen wie bei ELENA auftretenden Gefährdungen der Selbstbestimmung des Individuums entgegen tritt!
Gleichzeitig hätte die FDP als Partei des politischen Liberalismus niemals dem Swift-Datenabkommen zustimmen dürfen. Die Liberalen müssen den vorliegenden Entwurf des Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes ablehnen, weil die Freiheitsrechte von Arbeitnehmern damit geschwächt und eine Freiheit raubende Überwachung möglich würde. Das Thema Steuersenkung aus angeblicher Koalitionsräson aufzugeben, ist schlichter Verrat am Wirtschaftsstandort Deutschland.
Die Gesundheitsreform einfach beiseite zu legen ist ein weiteres Zeichen dafür, dass in der Partei des politischen Liberalismus viel zu oft nur noch taktisch-politisch gehandelt wird und nicht mehr auf der Grundlage einer liberalen Ethik, nicht mehr auf der Grundlage hart erkämpfter Freiheitspositionen des politischen Liberalismus.
In vielen Führungsgremien unserer Partei und bei nicht wenigen Führungskräften auf Landes- und Bundesebene kann ich ein politisches Handeln aus den geistigen Wurzeln des wertgebundenen politischen Liberalismus heraus nicht mehr erkennen.
Deshalb brauchen wir Liberalen eine Rückbesinnung auf die Grundlagen des wertgebundenen politischen Liberalismus. Ausgehend vom Konzept der sittlichen Würde begründet der wertgebundene politische Liberalismus die Voraussetzungen einer freiheitlichen Ordnung, die dem Einzelnen Selbstentfaltung in Verantwortung erlaubt.
Dies geht mit einer politischen Kultur der fortdauernden Aufklärung einher. Von einer solchen politischen Kultur hat sich die FDP aber teilweise entfernt. Und deshalb ist es für den parteipolitisch organisierten Liberalismus in Deutschland überlebenswichtig, diese politische Kultur der Aufklärung wieder zu leben und aus ihr zu handeln. Das können wir nur mit einer Leidenschaft für die aufklärerische Vernunft tun. Diese Leidenschaft hat sich aber in den Monaten der Regierungsverantwortung auf der Bundesebene kaum entwickeln können. Auch deshalb wird der politische Liberalismus mit seinem Eintreten für eine Marktwirtschaft als „Kalte Angelegenheit“ betrachtet, der dem Menschen keine Heimat gibt oder sie ihm sogar raubt. Machen wir uns nichts vor: So manche Führungkraft der FDP hat diesen Eindruck durchaus verstärkt.
Wir müssen deshalb wieder deutlich machen, dass individuelle Rechte und auch wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Einzelnen durch die sittliche Würde begründet sind und deshalb das individuelle Wohlergehen als Ausfluss des Gemeinwohls überhaupt erst möglich ist. Der politische Liberalismus muss als prägende politische Grundlagenphilosophie der modernen Gesellschaften die Frage nach der sozialen und ethischen Fundierung von Gesellschaft beantworten.
Dies geht mit dem Konzept des Rechte sichernden freiheitlichen Pluralismus einher, das aus gemeinsamer Wertüberzeugung und leitender Gerechtigkeitsvorstellung die fundamentalen Menschenrechte und Menschenpflichten begründet. Das ist kein „kaltes Projekt“, sondern wir müssen leidenschaftlich dafür streiten und werben, dass individuelle Freiheit und soziale Verantwortung unter der Leitidee der sittlichen Würde sich entwickeln können.
Und deshalb braucht dieses Land den politischen Liberalismus: Er muss mutig der reaktionären Flucht in die Unmündigkeit und dem Ausblenden der ethischen Dimension politischen Handelns entgegentreten. Der wertgebundene Liberalismus fordert die ständige Umsetzung der Freiheitsidee in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Das hat massive Auswirkungen auf unsere Bildungspolitik, die als Arbeit an der Aufklärung begriffen werden muss. Das hat massive Auswirkungen bei unserem Kampf um Meinungsfreiheit und um die Sicherung individueller Freiheitsrechte, weil diese Freiheitsrechte direkt aus dem Konzept der sittlichen Würde abgeleitet sind. Das hat erhebliche Auswirkungen auf eine verantwortete Sozial- und Wirtschaftspolitik, die sich den Forderungen eines ethischen pragmatischen Imperativs stellen muss. Auf dieser Grundlage muss eine Gesundheitspolitik entwickelt und dann aber auch konsequent gefordert und umgesetzt werden.
Gegenwärtig argumentieren wir hier viel zu oft mit etatistischen und Nützlichkeits-erwägungen. In den gegenwärtigen sozial- und steuerpolitischen Debatten haben wir Liberalen es sogar zugelassen, ausschließlich über Nützlichkeitserwägungen zu diskutieren. Wenn wir das tun, betreiben wir tatsächlich „kalte Projekte“ und geben den Menschen keine Heimat mehr. Wir müssen die Nützlichkeitserwägungen wieder dorthin bringen, wo sie hingehören: In den Bereich bloßer taktischer Erwägungen. Wer aber nur mit taktischen Erwägungen Politik machen will, muss scheitern. Die Bürger haben ein Recht auf die ethische Grundlegung politischen Handelns, und die Menschen fordern dies zu Recht ein. Die FDP gibt hier seit einiger Zeit keine Antworten mehr auf diese drängenden Fragen. Dabei hat der wertgebundene politische Liberalismus hier überzeugende Antworten und glasklare Positionen. Die sind nur nicht mehr kommuniziert worden, und dies geschah vermutlich auch aus Nützlichkeitserwägungen. Doch wenn wir Liberalen Nützlichkeitserwägungen gegen die Würde des Menschen ausspielen (lassen), haben wir den wertgebundenen politischen Liberalismus aufgegeben. Einige Mitglieder unserer Partei haben das tatsächlich. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass die Partei das insgesamt tut.
* Peter Welchering ist Vorsitzender des FDP-Stadtverbandes Remseck und arbeitet als Journalist
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ECK (Freitag, 15 Oktober 2010 15:27)
Schön, dass es tatsächlich noch FDP-Mitglieder gibt, die so denken.
Leider befürchte ich, ist das Kind bereits... und erst einmal auf längere Sicht... in den Brunnen gefallen. Auf Bundesebene ist Frau Leutheusser-Schnarrenberger die nach aussen einzig wahrnehmbare FDP-Politikerin mit noch übriggebliebenen bürgerliberalen Anwandlungen.
Ansonsten fallen mir leider nur noch wirschafts-liberale Köpfe ein. Der Bürger sieht bei der FDP immer mehr auf den ersten Blick nur noch eine Klientel-Partei. Weiterhin werden die Mahnungen der JuLis zur Netzpolitik seit Jahren überhört... Viele geben so auf, bevor sie überhaupt richtig in die FDP eintreten.
So war es auch bei mir. JuLi-Mitglied vor über 10 Jahren... Als ich da schon gesehen habe, wie teilweise bürgerfeindlich die FDP schon agierte, hatte ich als JuLi schon keine Lust mehr, in die FDP einzutreten... so lange diese Partei sich nicht grundlegend ändert und man die Wirtschafts-liberalen wenigstens etwas zur Räson bringt. Durch einen Umzug war ich dann einige Jahre politisch heimatlos. In dieser Zeit gründeten sich 2006 die Piraten... Ich fühlte mich fast augenblicklich verbunden, sah mir das Ganze aber dennoch erst einmal ein Jahr lang an, bevor ich eintrat.
Was für ein Chaoshaufen! Aber es sind Menschen, die wenigstens noch versuchen, Politik _für_ den Bürger und nicht gegen ihn zu machen. Man merkt immer noch, dass da hauptsächlich keine Berufspolitiker am Werk sind und ich sehe das Ganze immer noch als Experiment an, das allerdings eine oder auch mehrere Chancen verdient hat.
So leid es mir tut für die FDP, der ich mich durch meine schöne JuLi-Zeit trotz allem noch verbunden fühle... Aber sie hat jetzt erst einmal einen kräftigen Dämpfer verdient, damit sie sich besinnt auf die Werte, die ihr seit den 70er Jahren verlorengegangen sind. Falls das nicht geschieht, sind und bleiben die Piraten die momantan einzig wählbare Alternative für bürgerliberale Tendenzen... Auch wenn diese noch ein politisches Kleinkind sind.
Ernest (Mittwoch, 10 August 2011 18:51)
Die Piraten sind für mich der liberale Nachfolger dieser toten Partei FDP, die mal vor langer Zeit liberal war.