Streitschrift für die Zukunft des Journalismus

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Hat der Journalismus noch eine Zukunft?

Vom „postjournalistischen Zeitalter“ ist die Rede, davon, dass der kommerzielle Journalismus nicht mehr finanzierbar ist, dass ein „Bürgerjournalismus“ den professionellen Journalismus im Zeitalter von Web 2.0 ablösen müsse. Wir beobachten weiterhin eine dramatische Verschlechterung bei den Arbeitsbedingungen von fest angestellten und frei arbeitenden Journalisten. Überall ist von Abbau die Rede, die wirtschaftliche Situation vieler Kolleginnen und Kollegen ist besorgniserregend. Die Frage ist also berechtigt, ob Journalismus als Profession noch zukunftsfähig ist.

 

Dazu zwei Thesen:

 

1: Die Rahmenbedingungen für professionellen Journalismus ändern sich dramatisch. Wenn wir uns nicht aktiv an der Gestaltung dieser Rahmenbedingungen beteiligen und Rahmenbedingungen für eine Zukunft des Journalismus schaffen, hat Journalismus tatsächlich keine Zukunft mehr.

 

2: Zukunftsfähiger Journalismus ist leidenschaftlicher, ja kämpferischer Journalismus. Ohne den engagierten Kampf für die Meinungsfreiheit, für die soziale Absicherung der „Profession Journalismus“, für die Bürger unserer Zivilgesellschaft, für Transparenz wird es keine Zukunft des Journalismus geben.

 

Unsere Leser, Zuschauer und Hörer erwarten von ihren Journalistinnen und Journalisten die Leidenschaft für die Vernunft, die sich dann in aufrüttelnden Reportagen, hintergründigen Analysen und meinungsstarken Kommentaren verwirklicht. Doch was bekommen sie von uns? Dass so mancher Lokalzeitung die Leser weglaufen, hat mit schlechtem Journalismus zu tun. Die Leser, Hörer und Zuschauer haben im Web-2.0-Zeitalter höhere Erwartungen an die Qualität journalistischer Produkte. Gleichzeitig wird die Arbeit von uns Journalisten transparenter. Das empfinden nicht wenige Kolleginnen und Kollegen als Bedrohung. Sie sollten es aber als Chance begreifen.

 

Schauen wir uns die Fakten an: Die Mediennutzungsdauer hat sich seit dem Jahr 2001 von durchschnittlich 482 Minuten pro Tag auf 511 Minuten pro Tag gesteigert. Zu den großen Verlierern im Kampf um die Aufmerksamkeit der Bürger zählen die Zeitungen und Zeitschriften mit minus 23 Prozent und das Fernsehen mit minus 29 Prozent. Ein immer größerer Teil des Medienzeitbudgets wird in das Internet verlagert. Gegenwärtig nutzt der durchschnittliche Bundesbürger knapp 60 Minuten am Tag journalistische Produkte im Internet. Dabei sind meinungsstarke Beiträge besonders gefragt.

 

Gleichwohl gibt es hier ein massives Problem. Denn journalistische Angebote im Internet erzielen zwar hohe Reichweiten, sind aber bisher nicht kostendeckend. In der Regel wird dafür undifferenziert die „Kostenlosmentalität“ im Netz verantwortlich gemacht.

 

Wenn diese Kostenlosmentalität tatsächlich zwangsläufig das Ende des kommerziellen Journalismus bedeuten soll, dann frage ich mich: Wie kann es sein, dass viele Nutzer des Audio-Podcast „Computerclub 2“ Monat für Monat freiwillig, ohne Aufforderung einen Betrag in Höhe der GEZ-Gebühr auf das Produktionskonto für den CC2 überweisen? Wieso sind einer Nielsen-Umfrage aus dem Jahr 2010 zufolge 43 Prozent der Konsumenten bereit, für journalistische Inhalte im Netz zu zahlen? Wie hat das Wall Street Journal es geschafft, die Anzahl seiner Onlineabonnenten, die jährlich 140 Dollar für das Onlineabo zahlen, auf knapp 1,2 Millionen zu steigern?

 

Der analytische Blick fern aller so gern beschworenen Untergangsszenarien ergibt: Weil die Nutzer in allen diesen Fällen mit einzigartigen und unverwechselbaren Inhalten und journalistischen Produkten versorgt werden.

 

Das klingt auf den ersten Blick lapidar, der zweite Blick enthüllt aber, dass diese Zukunftsaussicht für einen professionellen Journalismus von zahlreichen Rahmenbedingungen abhängt.

 

Für das Sponsoring und Spendenmodelle brauchen wir Leitlinien, die sich aus den von uns definierten Standards journalistischer Arbeit ergeben müssen. Für verkaufsfinanzierte crossmediale Angebote brauchen wir sehr viel stärker als in der Vergangenheit journalistische Bewertungsmodelle. Das führt zu schwierigen Diskussionen. Das führt zu komplexen Diskussionen. Aber wir müssen uns diesen Fragen stellen. Und wir müssen dies bald tun. Denn von der Beantwortung dieser Fragen hängt die Zukunft der journalistischen Profession ab.

 

Und in dieser Diskussion darf bitte die Pressefreiheit, die wir als Freiheit der Medien begreifen müssen, nicht mit der Gewerbefreiheit der Verleger verwechselt werden. Deshalb muss diese Diskussion im Spannungsfeld zwischen sozialer Absicherung derjenigen, die diese journalistischen Produkte herstellen, und den Erfordernissen kommerziellen Erfolges geführt werden. Die Diskussion um ein Leistungsschutzrecht zeigt auf, wie gefährlich es sein kann, wenn Journalistinnen und Journalisten ihre Interessen als Urheber nicht ausreichend und nachhaltig vertreten.

 

Genauso nachhaltig und stark müssen wir unseren Kampf um angemessene journalistische Arbeitsbedingungen führen. Dieser Kampf hat eine tarifpolitische und eine gesellschaftspolitische Dimension. Denn ohne ausreichenden Informantenschutz, ohne Garantien für die innere und äußere Pressefreiheit, ohne das Anerkenntnis der Journalisten als Berufsgeheimnisträger nutzen uns die erstreikten und erkämpften Tarife nicht allzu viel. Wir müssen deshalb über drei Themen diskutieren und streiten, um unsere Profession zukunftssicher machen zu können:

 

1: Wie kann der kommerzielle Journalismus, der vom Verkauf seiner Produkte lebt, zukunftstauglich gemacht werden und damit eine Perspektive für professionellen Journalismus geschaffen werden?

 

2: Wie kann die Meinungs- und Pressefreiheit aktuell geschützt und langfristig abgesichert werden?  In diesem Zusammenhang muss auch die Frage gestellt werden, wie und inwiefern wir Journalisten unsere Wächterfunktion im demokratischen Rechtsstaat adäquat wahrnehmen können.

 

3: Wie kann sich der DJV als Gewerkschaft und Berufsverband positionieren, um die Interessen der festangestellten wie der freien Journalisten in den unterschiedlichen Interessendimensionen wahrnehmen zu können?

Wenn wir diese Diskussion ernsthaft führen, dann hat der Journalismus eine Zukunft!

vgwortzaehlmarke3

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Kommentare: 1
  • #1

    Martin (Mittwoch, 29 September 2010 13:28)

    Da müssten sich aber zum Beispiel die Journalistengewerkschaften bzw der DJV und Verdi ziemlich ändern mmhhh

Was kann ein Comiccast?